Der Bote I.
Es geschah zur Kanzleraudienz, am 21. Tag im 2. Heliosmond, im Jahre 42 n.A.III, in der Drachentrutzer Fürstenburg, als ein sichtlich waffenfähiger Mann, mit festem Schritt aus der Menge an Kanzler Giselher von Mühlenheim herantrat, der hier und heut, in Vertretung des im Feld befindlichen Fürsten, Recht sprach und den Anliegen des Drachenhainer Volkes Gehör schenkte. Der Neuankömmling verbeugte sich flüchtig und brachte hernach ein gar erstaunliches Begehr vor:
„Mein Name lautet Laurenz Rudolf Doloros und ich bin ein Mann von Hans-Thiems-Haufen aus dem Lande, das Ihr Sengenberg zu nennen geruht. Mein Anliegen an Euch, Herr Kanzler, ist einfach und diffizil zugleich: Bestellt dem Fürsten von Drachenhain, dass in meiner Heimat endlich wieder Recht und Friede möglich ist. Denn unter dem Schutz unseres Haufen gedieh in den letzten Jahren diejenige heran, die von Legoddins und Frendals Blut ist. Alenka Sophie, so lautet ihr Name, ist die wahre Erbin von Drachenberg und sie will seiner Durchlaucht den Vasallenschwur leisten, um als legitime Nachfahrin Frendals über dessen Land und Volk zu herrschen.“
Da war mit einem Male Ruhe im Saal und auch der Kanzler benötigte einen kurzen Lidschlag, um das Vernommene zu verarbeiten:
„Für Sengenberg spricht er, soso! Nun sehe ich ihn aber in keinem Templerrock gekleidet und eine Legitimation, wie ein Heliosbrieflein, zeigt er auch nicht vor?“
Laurenz Rudolf Doloros, ob der Worte nur wenig eingeschüchtert, sprach:
„Herr Kanzler, meine Legitimation habe ich vom Volke meiner Heimat erhalten und die ist auf keinem Bogen Pergament verzeichnet. In der Tat bin ich kein Templer und auch nicht von Stand. Doch ist mein Anliegen wichtig und von größter Tragweite. Denn anders als Ihr und die Welt es vielleicht glauben mögt, ist in Sengenberg mitnichten alles still und friedlich, und alles fest im gutherzigen Beschlag des Templers! Im Süden, in den Städten und auf den Straßen, da mag dies stimmen, doch der Norden, das Hinterland und die Sümpfe? Alles in der Hand der drei Haufen, die schon seit den Zeiten Richildas Verschwinden – und im Grunde auch schon davor – gut für Ordnung und Ausgleich sorgen. Nun…“
Da unterbrach der Kanzler ruhig, aber mit kaltem Eisen in der Stimme:
„So, ist er also ein Verfemter und Rebell und gehört sofort in Ketten gelegt? Sehr wohl drangen und dringen noch immer die von ihm selbst genannten Schwierigkeiten der Templer an des Fürsten Ohr. Wir wissen wohl, dass die Brüder in diesem Lande keinen leichten Stand haben, da die Sengenberger verstockte Rückwärtsschauer sind. Von Glück kann er sprechen, dass derzeit Krieg herrscht und das Auge seiner Durchlaucht auf anderen Obliegenheiten ruhen muss.“
Da streckte der Besucher unschuldig die bloßen Hände vor:
„Keine Rebellen und keine Aufrührer vom Schlage eines Freiherrn Gellers von Mannseck sind wir, welcher stets nur an die eigene Börse dachte! Wir Männer der Haufen sind das, wozu die schlechte oder ausgerissene Herrschaft uns gemacht hat. Verfemte wurden wir genannt, nachdem wir das fortführten, worum sich über viele Jahre niemand ernstlich scherte: die Ordnung im Lande zu wahren und das Überleben der einfachen Menschen zu sichern. Nun aber, mit der Erbin, steht der einmalige Weg offen, Sengenberg ein für alle Mal zu befrieden und in die Gemeinschaft der Drachenhainer Baronien zurückzuführen. Das Volk und die Haufen wollen das Knie vor einer Baronin Alenka Sophie beugen, Haumesser und Pike wegwerfen und treulich ergeben sein“
Der Kanzler strich sich nachdenklich über das Kinn:
„Hmm, hmm, hmm…. Ich weiß, dass Euch Sengenberger das Blut und die Linie alles gilt, deshalb gab es damals ja diesen Zinnober im Schrifthaus und diese Frechheiten in Richilesruh, (der Helios-Bote 62 berichtete) was hatte es mit all dem auf sich, frage ich! Wie kam das Mädchen zu Euch und ist sie es überhaupt? Doch halt, bevor wir die Geschichte wiederbeleben, soll die Feder hinzukommen, um zu helfen, die losen Stücke geordnet zusammenzufügen. Das ist außerdem nichts für diesen Ort und auch ich bin nicht jene Person, die hierin zu entscheiden hat.“
Mit diesen Worten erhob sich der Kanzler Drachenhains und sprach zur gespannt lauschenden Menge:
„Die Audienz ist für heute beendet, soll aber ob der Kürze heute, am morgigen Tage weitergeführt werden. Ihn, Laurenz Rudolf Doloros, werden die Wachen bis zur Ankunft des Fürsten in unsere innersten Gemächer führen, damit diese interessante Unterhaltung dort ungestört fortgesetzt werden kann.“
Laurenz Rudolf Doloros nahm dies Urteil ergeben hin und rief lächelnd dem bereits gehenden Kanzler hinten nach:
„Nun, ich dachte mir schon, dass mir ob meines Ansinnens nicht gerade das Haar gestreichelt werden würde! Gerne wartet Sengenberg die Ankunft des Fürsten ab.“
Beigewohnt und aus der Erinnerung niedergeschrieben

von Ruland vom Kerbelgehr,
Drachenhainer Hofberichterstatter

Erschienen in Helios-Bote 76