Im 2. Saarka, 24 n.A.III
Ausgabe 1

Resonanz, Dominanz, Ignoranz – über das Reisen mit Magiern

Es gibt Ereignisse im Leben eines Menschen, die alles einschneidend verändern, und es scheint, daß ein jeder zum Spielball des Schicksals – oder der Götter? – werden kann, ohne selbst einen Einfluß auf die Ereignisse zu haben – ohnmächtig gegenüber dem Geschick. Und das Schicksal eines Einzelnen mag bestimmend werden für das Wohl von vielen. Ein solches Erlebnis will ich euch heute schildern – es mag zum Wohle von einigen geschehen sein, doch was es für mich bedeutet – ihr mögt selbst darüber urteilen!

Als ich an einem kalten Winterabend mitten in einem Schneesturm die Lichter einer Burg vor mir sah, war ich rechtschaffen erleichtert. Das Gewicht meines Gepäcks und meiner Harfe ermüdete mich allmählich, und ich sehnte mich nach einem Bett und einer warmen Mahlzeit. In der Burg fand ich sogleich freundliche Aufnahme, und meine Musik war mehr als willkommen. Es waren eine ganze Menge Gäste da, und ich erfuhr, daß ein Magierkonvent stattfinden sollte. Auch ich wurde freundlich eingeladen, an einem Vortrage teilzunehmen, den ein gewisser Ieramus halten sollte, ein Gelehrter des Nexus Corenae. Obwohl ich von Magie nicht viel verstehe, und auch bis jetzt nur mit Mühe hinter die magischen Möglichkeiten der Musik komme, fand ich seinen Vortrag recht interessant. Über Resonanz sprach er – wovon ich ein bißchen verstehe, denn auch die Musik erzeugt Resonanz in mir und anderen Menschen: Lachen und Weinen, Heiterkeit und Trauer. Auch von Dominanz sprach Ieramus – und demonstrierte sie eindrücklich – nicht wahr?

Überhaupt empfand ich diesen gelehrten Magier als eine höchst eindrucksvolle Persönlichkeit. Weil ich von der langen und mühseligen Reise müde war, ging ich früh zu Bett. Plötzlich lärmte es draußen, und ich hörte Rufe und Schreie, ein Dämon sei unterwegs. Jedoch beschloß ich, diesem keinesfalls im Nachtgewande begegnen zu wollen, zog mir die Decke über den Kopf und schlief ein.
Am anderen Morgen erwachte ich ausgeruht, aber irgendwie war mir schwindelig, und ich fühlte mich ein bißchen benebelt. Was dann passierte, weiß ich nicht mehr so genau. Jedenfalls verließ ich mein Zimmer, und fand mich danach auf dem Fußboden wieder. Die Damen, die mich fanden, waren die Freigräfin Arana von Sedomee und ihre Cousine Nadyma, die Baronin von Sebur. Sie sagten, ich sei ohnmächtig geworden. Ich wollte ihnen nicht widersprechen, aber ohnmächtig? – ich? Nun ja, wenn es denn stimmt, so war es zumindest nicht das einzige Mal im Lauf dieser Ereignisse.

Nach einem schmackhaften Frühstück traf ich im Rittersaal der Burg verschiedene Leute an, die sich über das Erscheinen des Dämons und über eine merkwürdige Konzentration von Magie in der Burg unterhielten. Plötzlich stürzte Ieramus herein, gefolgt von einigen aufgeregten Lehrlingen; er eilte ans Fenster, sah hinaus, schlug mit der Faust auf den Sims und rief: „Verdammt!“ Obgleich ich solche Unbeherrschtheit von ihm niemals erwartet hätte, konnte ich doch seine Besorgnis und seine Bestürzung spüren. Es machte sich allgemeine Aufregung breit, und der Grund dazu war folgender: Die Burg, mitsamt uns allen, war verschwunden. Es gab kein Hinaus und kein Herein, wir waren gefangen wie in einem führerlos dahintreibenden Schiff.

Alle – auch die so hochgebildeten Magier – waren ratlos. Zudem geschahen merkwürdige Dinge: Der eine wurde blind, der andere taub, und ein netter Magier namens Marofalo verlor gar seine Sprache. Er bewegte seine Lippen, aber es war kein Laut zu hören. Als ich hörte, wie Ieramus zu einem der Umstehenden sagte: „Findet euch doch damit ab!“ gesellte ich mich zu ihm, denn ich wollte gerne helfen, wußte aber nicht wie. Und vor allem wollte ich wieder zurück! Ieramus erzählte mir, er habe für den Fall eines solchen Ereignisses Stillschweigen gelobt, und er wisse zwar eine Lösung, doch er dürfe nichts sagen. Ich bemerkte seinen Kummer, und um ihm zu helfen, erzählte ich ihm die Geschichte von König Midas und seinen Eselsohren. Ihr kennt sie nicht? Nun gut, in aller Kürze: König Midas hatte zur Strafe dafür, daß er die Götter beleidigt hatte, Eselsohren bekommen. Einem Diener, der das sah, ließ er nur gegen das Versprechen, keinem Menschen etwas zu sagen, am Leben. Doch der Diener ertrug es nicht und erzählte es dem Korn auf dem Felde. Das Korn erzählte es dem Wind, und so erfuhren es alle.

Ieramus verstand meine Geschichte wohl, doch er sagte, er habe nicht versprochen zu schweigen, sondern nichts zu unternehmen. Ich war traurig und erwiderte, ich würde ihm so gerne helfen. Er sagte: „Wer weiß, vielleicht werdet ihr noch eine Rolle spielen“. Ob er wohl wußte, daß dies auf so merkwürdige Weise wahr werden würde. Ich weiß nicht, wer Ieramus überzeugt hat, uns doch noch zu helfen. Aber er erwähnte das Labor eines erst kürzlich verstorbenen Magiers namens Meronin. Das Labor wurde eingehend untersucht, und verschiedene Schriftstücke berichteten von den Forschungen Meronins. Er hatte wohl an einer Art von Reisezauber gearbeitet, der ihn in einer anderen Sphäre an die Grenzen des Mysteriums führen sollte – was auch immer das sein mag! Sollen sich doch die Magier darüber den Kopf zerbrechen, nicht wahr?

Dann kamen die Ereignisse allmählich ins Rollen. Eine Beratung fand statt, und Ieramus erforschte den Zauber des alten Meronin. Er stellte fest, daß durch die Konzentration der Magie der Zauber ausgelöst worden war, jedoch nicht richtig initiiert. Da tauchte auch schon das erste Problem auf: Der Zauber war festgelegt auf den Namen des verstorbenen Zauberers, und dieser Name mußte innerhalb des Komplexes beendet werden, damit wir zurückkehren konnten. Da nun der Name „Meronin“ drei Silben hat, sollte auch der neue Name möglichst dreisilbig sein, denn jede Silbe war innerhalb des Zaubers getrennt verwahrt. Derjenige, dessen Name eingesetzt würde, müßte als Steuermann die Burg wieder auf den richtigen Weg bringen. Diese Person sollte sich auch nicht durch persönliche Machtgelüste leiten lassen, um das Unternehmen nicht zu gefährden.

Es herrschte betretenes Schweigen.

Es schien, daß niemand der Anwesenden diese Verantwortung übernehmen wollte. Anscheinend zweifelten die Magier auch an ihrer Willenskraft – denn die Burg nach der Initiierung des Zaubers zu lenken, war nach Aussage von Ieramus allein durch den Willen des Steuermannes möglich. Schließlich fanden sich drei der Magier bereit, zumindest den Namen im Komplex zu ändern. Doch welcher Name sollte es sein?

Schließlich gab Ieramus zu bedenken, daß es durchaus kein Magier sein müsse, der die Rolle des Steuermanns übernahm. Es werde genügen, die Anweisungen der Magier (insbesondere wohl seine Anweisungen) zu befolgen. Ich hielt es nicht mehr aus. Diese Unentschlossenen, ewig disputierenden Gelehrten! Und so sagte ich: „Ich werde es tun. Mein Name hat drei Silben. Ich weiß zwar nicht, ob ich es kann, aber zumindest werde ich es versuchen!“ Wäre ich nur nicht so vorschnell gewesen. Indes war die Erleichterung der Magier spürbar. Ich glaube, sogar Ieramus ließ sich zu ein paar freundlichen Worten des Dankes herab. Alsbald machte sich Geschäftigkeit breit. Die drei, die den Zauber ändern sollten, machten sich bereit, in den Komplex einzudringen. Ieramus erklärte ihnen ganz genau, worauf sie zu achten hätten, daß der Kern des Zaubers keinesfalls beschädigt werden dürfe, denn sonst gäbe es für uns keine Rettung mehr. Die Freigräfin Arana von Sedomee erklärte sich bereit, zu den drei Magier eine Verbindung herzustellen, die ihnen die Rückkehr erleichtern sollte. Eine jüngere Schwarzmagierin wollte mit Hilfe ihres Meisters, eines merkwürdigen Schwarzelfen, einen Schutzkreis herstellen. Der Schwarzelf wiederum zelebrierte mit allen direkt Beteiligten eine Reinigungszeremonie, denn für diese Aufgabe sollten wir alle ohne Fehl und Makel sein.
Und dann war es endlich soweit: Der alte Zauberer Meronin hatte für seine merkwürdige Reise alles hergerichtet, auch eine Art Bannkreis aus seltsamen Zeichen, Ameryll, Kerzen und Räucherwerk. Ieramus wies mich an, mich in den Kreis zu begeben und mich auf meinen Namen zu konzentrieren, um den dreien ihre schwierige Aufgabe zu erleichtern. Ich tat, wie ich geheißen und nahm meinen Platz ein. Inzwischen war auch der Schutzkreis für die Freigräfin bereit, und die drei Magier verschwanden, geführt von Ieramus. Es mag wohl eine Ewigkeit gedauert haben. Ich verlor jegliches Gefühl für Zeit. Die Freigräfin hielt unbeirrt von dem Gezappel der Schwarzmagierin im Schutzkreis die Verbindung zu den Magiern aufrecht.

In mir breitete sich eisige Kälte aus. Mir war so kalt, wie mir auf meiner Reise durch den Schnee nicht gewesen war, und ich glaubte, mein Zähneklappern sei bis zum Mysterium zu hören – was auch immer das sein mag. Außerdem überfiel mich heftige Angst, der ich nichts entgegenzusetzen hatte. Es war die Angst zu versagen, die Aufgabe nicht zu bewältigen, einen Fehler zu machen, die Angst, daß mein Wille nicht ausreichen könnte, die Angst zu sterben und alle ins Verderben zu führen. Je länger es dauerte, desto mehr wurde ich von dieser panischen Furcht erfaßt, so daß Ieramus mich als schlotterndes Häufchen Elend vorfand,als er mit den drei Magiern zurückkehrte. Sie zumindest also hatten ihre Aufgabe bewältigt. Kommentarlos hängte mir Ieramus eine Decke um, was wenig half, denn nun war es unabänderlich: Der Name Marvenna stand für Rückkehr oder Untergang. Ich bekam den Zauberspruch Meronins ausgehändigt, damit ich beim Lesen keinen Fehler machte. Fremde Worte in einer Sprache, die ich nicht verstand. Meine Angst wandelte sich zu Entsetzen. Was tat ich da? Erst am Abend davor hatte Ieramus uns allen erklärt, wie gefährlich die Magie in den Händen Unwissender sei!
Da tauchte ein weiteres Problem auf: Wir alle konnten dort, wo wir reisten nichts sehen. Wir brauchten ein Medium, dessen Augen diese Sphäre und unser Weg nicht verschlossen waren. Irgendwie konnte ein anwesender Phiarae, der zuvor eigentlich nur mit seinem Weinbecher und leerem Geschwätz beschäftigt war, überzeugt werden, uns zu helfen. An zweien der merkwürdigen Symbole um den Kreis nahm er Kontakt auf und wir konnten beginnen. Ieramus gab das Zeichen zum anfangen, und ich sprach mit erhobenen Händen die magischen Worte. Sie schienen sich in meiner Kehle quer zu stellen, in meinem Kopf begann es zu hämmern und mein Herz krampfte sich zusammen. Ich glaubte zu ersticken und spürte wie alle Kraft mich verließ. Doch mit dem Spruch allein war es noch nicht getan. Nach Weisung des Phiarae mußte ich noch die Richtung aufnehmen, in die wir reisen sollten. Ziel war die erste von drei magischen Energiequellen, deren Energie wir für die Rückkehr brauchten – so stand es wohl in der Anweisung von Meronin geschrieben. Doch nach dem Spruch der Initiierung hatte ich kaum die Kraft, auf den Beinen zu bleiben, geschweige denn, die Burg zu lenken. Mit den letzten Reserven an Willen und mit der Unterstützung der Anwesenden, die mir im Chor die Worte zuriefen, die ich sprechen sollte, nahmen wir allmählich Fahrt auf und flogen auf die erste Energiequelle zu. Alle schienen erleichtert – und es war doch erst der Anfang!

Die Magier eilten in die Studierstube zu den Papieren Meronins, der Phiarae zu seinem Weinbecher , und ich blieb allein zurück. Ich stand in meinem kleinen Kreis, regungslos und wie gebannt. Ich wagte nicht, mich zu bewegen, weil ich glaubte, mich nicht aufrechthalten zu können. Schließlich sank ich doch zu Boden.

Der Schmerz , der in mir war, seit ich den Zauber gesprochen hatte, ließ mich nicht los und die Angst wich nicht von mir. Wie sollte ich meine Aufgabe bewältigen, wenn ich den Anfang kaum geschafft hatte? Schließlich kamen Marofalo, der nette Magier, und die Freigräfin Arana und fanden mich allein und verzweifelt.

Marofalo ging , um sich zu erkundigen, ob ich den Kreis verlassen dürfe, derweil sich die Freigräfin besorgt um mich kümmerte und mir Schmerz und Angst nahm.

Fürwahr, sie steht unter dem Schutz einer mächtigen Göttin, die ihr solche Gaben verlieh. Dank der Freigräfin fühlte ich mich nun gestärkt und zuversichtlich, als wir die erste Energiequelle erreichten. Da teilte uns der Phiarae mit, davor befinde sich eine gläserne Wand. Zudem wurden wir von einem merkwürdigen Lichtwesen angegriffen, das mit unserem Treiben nicht einverstanden schien. Doch mit Hilfe eines magischen Spiegels wurde das Wesen abgewehrt und die gläserne Wand von einem Feuerball zerstört. Auch schafften es die Magier, die Energie an der Quelle aufzunehmen.
Obwohl alles ziemlich aufregend war, machte es mir allmählich Spaß, die Burg zu lenken. Es brauchte eine Menge Willenskraft, doch es war nicht schwierig. Und so steuerte ich ohne große Probleme auf die zweite Energiequelle zu. Dort fanden wir zu unserer Überraschung drei Energiequellen vor. Jedoch konnte nur eine die richtige sein. Herauszufinden welche, war wiederum die Aufgabe der Magier. Sie schienen jedoch keine Schwierigkeiten damit zu haben und kehrten alsbald erfolgreich zurück. Doch wieder hatten wir ein Problem: Durch den magischen Spiegel und den Feuerball waren die Fähigkeiten der Magier nahezu erschöpft. Außerdem war der Phiarae durch das strahlende Licht der Energiequelle geblendet und außer Gefecht. Doch war eine andere Phiarae da, die seinen Platz fürs erste einnehmen konnte.

Ieramus wollte die Magie eines Artefakts den Magiern zuführen, um ihre Kräfte wiederherzustellen. Doch es war unfaßbar: Einer der Magier namens Kail versuchte, die ganze Magie auf sich zu ziehen! Offenbar wollte er unser Unternehmen scheitern lassen, aus welch finsteren Absichten heraus auch immer.

Er wurde aus dem Zirkel entfernt und verließ fluchend den Raum. Ich war müde und erschöpft und ging hinaus, um etwas Luft zu schöpfen. Draußen traf ich diesen Kail. Er war zunächst sehr freundlich und besorgt, bot mir einen Stuhl an und unterhielt sich mit mir. Doch plötzlich wandelte er sich. Er wurde bedrohlich, fragte mich, ob das Unternehmen denn ohne mich scheitern müsse, ob ich wichtig sei und dergleichen mehr. Ich antwortete ausweichend, doch als er immer eindringlicher fragte, bekam ich Angst und wollte zurückgehen. Sogleich wurde er wieder freundlich, hieß mich ausruhen und lenkte das Gespräch auf andere Themen. Ich war so müde und so dankbar für seine Freundlichkeit, daß ich mich wieder setzte. Kail stand hinter meinem Stuhl und sagte plötzlich scharf: „Warum tut Ihr, was sie sagen? Tut, was ich sage, lenkt die Burg um! Laßt sie fliegen, wohin sie will!“

Immer weiter redete er so auf mich ein, bis ich gänzlich verwirrt und durcheinander war. Da kam einer der Lehrlinge vorbei und nahm ihn mit . Ich kehrte zurück zu meinem Kreis , denn wir waren nahe an die dritte Energiequelle herangekommen. Doch zwei der Ameryllsteine waren entfernt worden und die Burg reagierte nicht mehr auf meinen Willen. Der Prior des Nexus hatte sie weggenommen, und es schien, daß auch er wie Kail zwiespältig in seinem Wesen war und unsere Rückkehr vereiteln wollte. Als der Kreis wiederhergestellt war, konnte ich die Anweisung der Phiarae nicht befolgen, weil ich so verwirrt war und lenkte in die falsche Richtung. Beinahe wären wir so an der dritten Energiequelle vorbeigedriftet. Erst als Ieramus mich anschrie: „Reißt euch doch zusammen!“ kam ich zu mir und steuerte wieder auf den richtigen Kurs zurück. Dann näherte sich erneut das Lichtwesen; es schien böse und wollte angreifen. Doch die Magier mußten die Energie beibringen, die uns noch fehlte. Ich weiß nicht wie, aber sie haben es vollbracht.

Einer von ihnen hatte wohl etwas zuviel Magie abbekommen und war völlig hinüber. Wir aber waren nun in Sichtweite der Grenzen des Mysteriums. Die Zeit wurde knapp. Da sah der Phiarae dort plötzlich Mauern und Türme – es war die unlängst auf mysteriöse Weise verschwundene Burg Talwacht. Ich erinnere mich noch gut an die Aufregung, die ihr Verschwinden verursacht hat – und hier also war sie!
Ieramus gab mir den Spruch der Rückkehr. Ich sollte die drei Schalen mit der gesammelten Magie in eine Schale umfüllen und dann den Spruch sprechen. Doch da kehrte die Angst zurück – jetzt, wo ich sie am wenigsten brauchen konnte. Ich zitterte, meine Stimme schien sich irgendwo in meinen Eingeweiden verkrochen zu haben, und das Entsetzen überflutete mich wie eine Meereswoge den Strand.
Hilfesuchend sah ich zu Ieramus, doch da war keine Hilfe mehr zu erwarten. Kein Wort der Aufmunterung oder des Trostes, er schien kalt wie Eis. So wartete ich wenigstens auf ein Zeichen zum Anfangen, doch nicht einmal das gab er mir. Er schien zu glauben, daß jetzt, wo alles fast vollendet war, nichts mehr schief gehen konnte, und war wohl in Gedanken schon beim Feiern. Schließlich drängte der Phiarae zur Eile, und so nahm ich auf mich allein gestellt meine letzte Kraft zusammen, füllte die drei magischen Schalen in eine um und sprach den Spruch der Rückkehr – kaum Herr meiner Sinne und meiner Stimme. Ich glaubte, die Macht der Magie würde meinen Verstand vernichten, doch der Spruch wirkte auch diesmal. Als Ieramus festgestellt hatte, daß wir auf dem Rückweg waren, galt sein erster Gedanke einem Becher Wein.

Ich merkte noch, wie mir die Sinne schwanden, dann versank ich in bodenlose Dunkelheit. Wiederum waren es Marofalo und die Freigräfin Arana, die sich um mich kümmerten. Als ich allmählich zu mir kam, saß Marofalo neben mir auf dem Boden, half mir auf und brachte mich zu einem Sessel. Dort kümmerten sich Arana und Nadyma freundlich um mich und dankten mir für das, was ich getan hatte. Von den anderen Magiern oder von Ieramus hörte ich kein Wort des Dankes oder der Anerkennung. Welche Ignoranz herrschte in diesen Kreisen! Keiner hatte wohl bedacht, welche Auswirkungen die Magie auf jemanden haben mag, der sich damit nicht auskennt. Und wie leicht hätte Kail mich töten oder zumindest außer Gefecht setzen können. Aber das schien die großen Magier nicht zu berühren. Jedenfalls weiß ich jetzt wohl, was ich von ihnen zu halten habe! Ich ging zu Bett, und nach einer schlaflosen Nacht verließ ich die Burg im Morgengrauen, ehe denn noch einer erwacht war. Ich wollte nur weg von diesem Ort! Unterwegs begegnete mir eine Gardistin der Freigräfin. Sie schien die Burg besucht zu haben. Ich weiß noch, daß ich nur zu ihr sagte, sie solle sich von Magie fernhalten, wenn sie nichts davon verstehe. Die Arme! Ich glaube, das hat sie ziemlich verwirrt. So mögt ihr nun entscheiden, ob es sich wahrhaftig lohnt, für andere den Kopf hinzuhalten, die es offenbar nicht zu schätzen wissen. Wie wohltuend einfach war doch der lächerliche Zorn der Ceriden beim Verschwinden von Burg Talwacht! Sie benehmen sich zwar unmöglich und dumm, aber wenigstens sind sie – zumindest in dieser Hinsicht – keine Heuchler.

Ihr werdet verstehen, daß ich seit diesen Erlebnissen auf die Magier nicht mehr sehr gut zu sprechen bin, zumal mich seit diesem Tage Alpträume verfolgen. Und mit Hilfe der Magier brauche ich da wohl nicht zu rechnen. Indes will ich nicht ungerecht sein: Ich bin froh und dankbar, wieder zu Hause zu sein, und das war schon ein wenig Ungemach wert.


Ameryll und Phiarae
Eine Abhandlung über den Zusammenhang des Metalles mit den Feenwesen

Mannigfaltige Geschichten sind in Heligonia über die Phiarae bekannt, obwohl sie doch erst seit kurzem Kontakt mit uns haben. Im folgenden möchte ich hier drei Begebenheiten schildern, die für meine Begriffe beispielhaft für den Zusammenhang des Amerylls mit den Phiarae sind.

Das erste Mal nahmen die Menschen die Existenz der Phiarae war, als ein Gruppe von Abenteurern den Parimawald, auf Geheis von König Aximistilius III. zu erforschen suchte. Bei diesem Treffen zeigte sich die Überlegenheit der Feenwesen, indem sie ihr Spiel mit den Menschen spielten. Zum Beispiel war für eine Forschergruppe, die noch unter König Aximistilius. II entsandt wurde, erst wenige Tage vergangen, obwohl mehrere Jahrzehnte ins Land gegangen waren. Die Menschen konnten das Spiel nur mit Hilfe der „guten“ Feen, den Ephirae gegen die „Bösen“ gewinnen. Eine große Rolle spielte hier vor allem ein Metall mit dem Namen Ameryll, welches von den Menschen gesammelt werden mußte, um es dann den Phiarae zu opfern.

Der zweite mysteriöse Vorfall, ist mir nur durch Erzählungen bekannt. Wie mir zugetragen wurde verschwand Burg Talwacht über Nacht, mit allen seinen Bewohnern.
Wie ich nun vermute hatte die Adelsfamilie Celvar zu Talwacht, einen größeren Schatz an Ameryll insgeheim angehäuft. Es wurden auch, wie sich später herausstellte Phiarae in der Nähe der Burg gesehen, die allerdings nicht in das Geschehen eingriffen. Die Burg ist bis heute spurlos verschwunden.
An der dritten rätselhaften Begebenheit, durfte ich selbst teilnehmen und wurde bei meinem Besuch auf Burg Thardanus Augenzeuge des Auftretens eines Phiarae. Ein Gelehrter des Nexus Corenae, mit Namen Meronin, versuchte durch geheime Rituale und mit Hilfe von Ameryll zu der Ameryllebene vorzudringen. Bei diesem Vorhaben starb er jedoch und hätte beinahe die gesamte Burg Thardanus mit einer Vielzahl bedeutender Gelehrter Heligonias in den sicheren Tod geschickt. Nur mit der Hilfe eines der Phiarae und durch die Zusammenarbeit der Gelehrten gelang es, die Burg in ihrem Sturz durch Raum und Zeit aufzuhalten und zur Umkehr zu bringen.

Allen drei Begebenheiten ist eines gemein. Das Auftreten der Phiarae, sobald eine größere Menge Ameryll im Spiel ist. Das Ameryll ist zum ersten Mal im Parimawald gefunden worden, der Heimat der Phiarae. Auch befanden sich die beiden Burgen im Norden Heligonias. Ob dies mit der Nähe des Waldes zu tun hat, oder eher wie ich meine damit, daß Ameryll in größeren Mengen den Süden Heligonias noch nicht erreicht hat ist heftigst umstritten.

Ameryll besitzt nach unserem Wissensstand ein paar sehr bemerkenswerte Eigenschaften, die wir so von anderen Metallen nicht kennen und sehr untypisch sind. Ameryll ist durch seine silberglänzende Oberfläche leicht als Metall zu verifizieren. Wie ich mit einem Zwerg allerdings in Erfahrung bringen konnte läßt sich Ameryll nicht wie ein Metall bearbeiten. Es zerbricht unter den Hammerschlägen in tausend Splitter. Auch durch Erhitzen in einer Esse läßt sich Ameryll nicht in eine verformbare Verfassung bringen. Vielleicht benötigt man eine größere Hitze um Ameryll schmieden zu können, als wir es mit einem irdischen Feuer vermögen. Vielleicht läßt sich Ameryll nur mit Hilfe von Drachenfeuer, oder dem Götterfeuer von Helios selbst schmieden. Dies gilt es noch in Erfahrung zu bringen. Wie wir an einem größeren Brocken feststellen konnten, bleibt Ameryll an einem Ende kalt, wenn man das Gegenüberliegende erwärmt. Tut man nämliches mit einem Kupferstab, so wird auch das nicht erhitzte Ende warm. Auch hier ein untypisches Verhalten des Amerylls. Zudem hat Ameryll eine schwache magische Aura, wie wir sie von Edelsteinen kennen. Diese Aura wird zur Zeit an der Academia zu Darbor noch genauer untersucht, doch leider lassen sich über die Richtung und Polung der Aura noch keine verläßlichen Aussagen machen.

Es bleibt zu subsumieren:
Für mich steht das Ameryll eng im Zusammenhang mit den Feen des Parimawaldes. Es gehört augenscheinlich zu der Gruppe der Metalle. Seine Eigenschaften entsprechen aber denen der Gruppe der gemeinen Gesteine und die Aura ist der der Edelsteine ähnlich. Bisher postuliert die Spektabilität der Academia zu Darbor, daß es sich bei Ameryll um ein künstlich geschaffenes Konglomerat handelt. Von wem, wie und zu welchem Zwecke gilt es noch zu erforschen.

Ausgabe 1 des Portals im Januar 1997
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