Ganze 14 Jahre sind vergangen, als das Herzogtum Ostarien versuchte, Großes in Gang zu setzen. Studien und Denkschriften wurden verfasst, Konzepte aufgestellt und die Logbücher der Marineexpeditionen ausgewertet. Nicht zuletzt wurden Gespräche mit vielen Herrscherhäusern geführt. Das Ziel war etwas für Heligonia zu erreichen, was ein einzelner Teil des Reiches nicht zu leisten vermag: Eine Flotte vollwertiger, großer Hochseeschiffe. Segler, die Wind und Wellen trotzen, die nicht dafür gebaut sein müssen, auch die heligonischen Flüsse zu befahren. Schiffe, die denen anderen Ländern der Mittellande in nichts nachstehen würden. Damals war das Land Corenia noch unbekannt, Antrieb war allein die Befürchtung, auf See nicht gegen andere Länder bestehen zu können, was nicht von der Hand zu weisen war.
Vor 10 Jahren jedoch, als der Stueren-Konflikt mit aller Kraft aufflammte, wurde die Aufmerksamkeit Ostariens an anderer Stelle gebraucht. Die Untersuchungen brachte man Eilends zu Ende und übergab sie dem königlichen Hof. Dann wandte sich der Blick Ostariens gegen Norden. Die Schriften aber wurden nicht vergessen. Sie wurden studiert, ausgewertet, ergänzt und für gut befunden. Und in aller Stille, ohne Hast aber mit stetigem Antrieb wurde begonnen, was nun vorgestellt werden soll: Die königliche Flotte.
Behutsam und Vorhandenes weise nutzend wurden in Abstimmung mit den Landesherren bestehende Werften ausgebaut, so dass die Herstellung von Schiffen in einer Größe möglich wurde, wie sie in Heligonia bisher unbekannt waren. Dreimastig, gewaltig und stolz. Die Hauptwerft befindet sich denn nun in den Häfen von Marola, während eine zweite, kaum kleinere Werft in Darbor zu finden ist. Bei den Heimathäfen, ist genau umgekehrt. Der Haupthafen der königlichen Flotte mit Magazinen, Arsenal und Garnison findet sich in Darbor, während Marola als Zweithafen dient. Mittlerweise sind die Magazine gefüllt, die Stäbe besetzt und die Garnisonen werden durch Abordnungen der Heliosgarde gestellt. Die Herrscher Sedmomees und Darians stimmten all dem mit Freunden zu, ist es doch eine Ehre, diese Einrichtungen zu beherbergen und man darf nicht ohne Grund auf eine Förderung von Geschäft und Wohlstand hoffen. Gerade Graf Dedekien, in seiner Rolle als Beförderer der Seefahrt und Entdecker Corenias war von der Ehre des Haupthafens besonders angetan und wohnte dem Einzug der Garde selbst jubelnd bei. Die Häfen in Sebur und auf dem Herzog-Uriel-II Atoll werden also Not-und Ausweishäfen ohne besondere Einrichtungen dienen.
Was aber wäre eine Flotte ohne ihre Schiffe? Die Flussgängigkeit war nicht von Belang und so ist keines der Schiffe dafür gebaut, den Jolborn allzu weit befahren zu können, so es überhaupt möglich ist. Auch auf Ruder wurde verzichtet, da diese bei Schiffen dieser Größe wenig Nutzen haben. Stattdessen: Dreimastige, große Schiffe, ausgerüstet, um ihre Besatzungen für viele Tage sicher über die hohe See zu tragen.
Von diesen neuen Schiffen gibt es 4 Typen:
Die Poena-Klasse ist ein großer Handelsfahrer. Ihr gewaltiger Schiffsbauch kann eine schier unglaubliche Menge an Waren fassen und so ist das Ziel dieses Schiffes klar umrissen: Den Seehandel mit anderen Nationen zu befördern, die Schätze Heligonias in die Welt hinaus tragen und die Schätze der Welt nach Heligonia, auf dass Handel und Wohlstand blühen.
Die Saarka-Klasse ist schmal geschnitten, nicht mehr Raum als unbedingt nötig. Ein Kriegsschiff, wie man es von Heligonias Küsten noch nicht sah. Stabil und fest, wehrhaft und stark. Auf dass kein Feind sich zu nahen wagt. Vielerlei Waffen werden Tod und Verderben auf jene schleudern, die sich der Saarka in den Weg stellen.
Die Xurl-Klasse ist seegängig wie kein zweites Schiff. Kein Sturm kann ihm trotzen und schon mit dem kleinsten Wind kann dieses Schiff fahrt machen. Ein stabiler Kiel für flache Gewässer erlauben ihm zu fahren, wo keines der anderen zu fahren wagt und keine unbekannte Küste kann dieses Expeditions- und Forschungsschiff schrecken, das ferne Gestade erkunden soll.
Die Krone aber ist die Helios-Klasse. Das größte und schönste der Vier. Prachtvoll und doch wehrhaft. Seefest und erhaben, das neue Flaggschiff der Flotte ist in er Lage das Land zu repräsentieren, aber auch die feste Hand des Königs durchzusetzen. Ein Bollwerk auf See. Die Helios-Klasse vereint die Fähigkeiten der anderen 3 Schiffe aufs vortrefflichste und zeigt mit stolzem Schnitzwerk und Bemalung ihren Rang an.
Erst vor kurzem aber liefen die Typschiffe vom Stapel, die im Moment ihre Seeerprobung durchlaufen, bemannt mit Seeleuten aus dem ganzen Königreich. Bis zur völligen Einsatzfähigkeit wird mit Sicherheit noch ein Jahr vergehen, aber mit jedem Tag werden die Handgriffe sicherer, die Mannschaften routinierter und die Manöver schneller. Noch wurde nicht bekanntgegeben, wie viele Schiffe welchen Typs gebaut werden sollen.
So wünschen wir den neuen Schiffen des Königs allzeit gute Fahrt, immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel und den Segen der Götter!
Am Abend des Pretoriustags, 22. Tag im Saatmond, 109 n.d.E., wurde in der Kapelle zu Kolkweiler in Celvar auf schändlichste Weise eine Reliquie entwendet. Bei der Reliquie handelte es sich um den seit etwa 50 Jahren im Keller der Kapelle aufbewahrten Schädel des heiligen Idonäus. Glücklicherweise konnte der Dieb von Bruder Severus, Optio der heiligen Miliz, am darauffolgenden Gessiustag entlarvt und gestellt werden. Die Reliquie, die der Dieb in der Nähe der Kapelle gut versteckt hatte, wurde am späten Nachmittag offensichtlich unversehrt aufgefunden.
Einen besonderen Dank möchte Primus Pacellus in diesem Zusammenhang der anwesenden Ogedenschaft aussprechen, die sich vor Ort an der Suche nach der Reliquie beteiligt hatten, im Besonderen an den Sohn des Xurl, Baron Foranan McDonough, der die Reliquie schlussendlich gefunden hat und sicher an die anwesenden Brüder im ceridischen Glauben, den edlen Ritter Normund von Lodenburg und Bruder Severus übergeben konnte.
Die Reliquie befindet sich momentan zur Untersuchung in der Abtei Gunara und wird, nachdem ihre Unversehrtheit gewährleistet ist, in der Kapelle zu Kolkweiler neu eingesegnet.
Bruder Clavius aus der Abtei Gunara
Neun volle Heliosläufe sind nun bereits vergangen, seit ich mit ein paar Münzen meine Überfahrt nach Heligonia erkaufte. Ich tat was nötig war und an manchen Tagen scheint es, als wäre ich gänzlich eine andere geworden. Doch die Ereignisse von damals sind noch eingebrannt in mein Herz. An Tagen wie heute, wo Helios so kräftig vom Himmel herabglänzt und Xurls Winde einen feinen, salzigen Hauch mit sich tragen, steigt in mir die Erinnerung hoch an die Verzweiflung und unermessliche Hoffnung, die mich damals hierher brachte. Und so will ich in Kürze schildern, wie es mir seither ergangen ist.
Das Land betrat ich im Hafen Darbors. Zwischen schäbigen, mir riesig erscheinenden Kaschemmen, dem unendlichen Gewirr der Gassen und dem Lärm und Geschrei und Gestank der Einheimischen kann ich nicht mehr genau sagen, wie ich die ersten Tage überstand, die wie ein langer, unangenehmer Traum ineinander zu fließen schienen. Meinen Schmuck aus Muscheln und Steinen des Meeres sowie die wenigen Münzen vom Nähen des Ahnenzeltes hatte ich schon bald gänzlich eintauschen müssen und bald wanderte ich hungrig und ebenso schmutzig wie die Einheimischen durch die Gassen.
Darian hatte mich sich einverleibt, geschwindter als man zu befürchten wagte. Und in jedem Winkel in jedem mir fremdartigen Gesicht, dessen Züge hier allgegenwärtig waren, wie ich erkannte, wähnte ich für einen Wimpernschlag Walid wieder zu sehen.
Bei einer Herbergswirtin bat ich schließlich um ein Almosen in Form einer Schale Suppe und den Göttern sei dank bat sie mir an, in ihrem Haus die Laken zu flicken und die Nachttöpfe zu leeren und den Ofen sauber zu machen und welche kleinen Handgriffe auch immer sonst sie nicht gerne selbst machen wollte. Dies schien mir eine anständige Sache zu sein, und da ich in der Küche einen warmen Schlafplatz sowie die Reste der Herbergsgäste an Essen und Badewasser haben sollte, willigte ich ein. Ich lernte nach und nach ein paar wenige Worte zu lesen, die mir tagein, tagaus begegneten, darunter “Salz”, “Kaffee” und “Dattelwein”. Und spät nachts, wenn alles im Hause schlief, übte ich mich mit den Kohlen beim schwachen Schein eines Kerzenstumpens selbst im Schreiben von Buchstaben und einfachen Worten, die ich hier und da auf allerlei Flugblättern mit Bekanntmachungen darin tagsüber gesehen und mir eingeprägt hatte und die ich aus dem Gedächtnis abmalte.
Und wenn ich auf dem Basar ein neues Flugblatt sah, so wähnte ich, es sei eine Nachricht von der Academia Rocorion, die mir Walids Verbleib enthüllen könnte.
Nach einigen Monaten traf ich im Haus auf eine Gruppe Leute, an deren Kleidung und fremdartigem Akzent ich sofort erkannte, dass sie von weit her kommen mussten oder jedenfalls nicht aus Darian. Ich spitzte meine Ohren, um mehr zu erfahren und fand schließlich heraus, dass sich die Gruppe von Händlern aus verschiedenen anderen Teilen Heligonias zum gegenseitigen Vorteil zusammengetan hatte, um sich weiterhin in wenigen Tagen einer Karawane Richtung Nordwesten anzuschließen.
Ich spürte wieder dieses hoffnungsvolle und unerklärliche Kribbeln, das mich in die Fremde zog und nutzte einen günstigen Augenblick, um einen der Männer anzusprechen und zu bitten, sie mögen mich bei ihrer Abreise mitnehmen. Zunächst lachte er nur und lehnte ab. Nun hatte ich seither gelernt, wie es in der weiten Welt zuging und dass es immer darum ging, einen Tausch zu erhandeln oder sich selbst möglichst in einem Licht erscheinen zu lassen, welches einen für den anderen in irgendeiner Weise nützlich machte. Daher blieb ich in den nächsten Tagen hartnäckig, zeigte, was ich an nützlichen Arbeiten vermochte und deutete an, ich würde ihnen ohnehin bei ihrer Abreise folgen.
Auf diese Weise gelangte ich schließlich in die Dienste von Ras el’Hanout, einer reichen Gewürzhändlerin, die Saarka sehr verehrte. Ihr gehörte nämlich die Karawane, der die Gruppe Händler aus der Herberge und ich sich zwei Tage später anschlossen. Mehrere Jahre verbrachte ich so in der Wüste, fernab von Xurls Segen, indem ich Karawanen kreuz und quer durch das Land begleitete, in Oasen unter dem Sternenhimmel der Ahnen für die Reisenden Fladen buk und lernte, wie man Burais versorgte. Wann immer ich konnte, ließ ich mir von Reisenden vorlesen und ein paar neue Worte beibringen, sofern sie ein Buch mit sich führten, oder von ihrer Heimat erzählen, sofern sie keines hatten.
Und wenn der Vollmond auf die Dünen fiel, so wähnte ich ihre Wogen seien wie das Meer.
Das Wasser sah ich jedoch erst eine ganze lange Zeit später wieder, als eines Tages ein Auftrag von Ras el’Hanout mich den weiten Weg nach Betis brachte. In dieser Stadt besaß sie seit geraumer Zeit ein Badehaus und zu der Zeit weilte sie auch häufig dort und überließ die Karawanenzüge ihren erfahrenen Karwanenführern. Ein paar Darianer in ihren Diensten und ich sollten ein wichtiges, versiegeltes Schriftstück und eine kleine, ebenfalls versiegelte und mit einem komplizierten Mechanismus verschlossene Schatulle zu der Händlerin bringen. Ich weiß nicht, was sie enthielten und nicht, welcher Handel anschließend schief gelaufen sein muss, doch sah ich kurz nach unserer Ankunft ein paar finstere Gestalten um das Badehaus schleichen und zog mich in düsterer Vorahnung zurück. Es gab in dieser Nacht keinen wahrnehmbaren Tumult, und selbst die Hunde bemerkten nichts, doch fand man am Morgen die Händlerin mit durchschnittener Kehle in einem der Zuber, die Schatulle aufgebrochen und leer und das Schriftstück verschwunden.
Nach dem Tod der Händlerin schafften es einige langjährige Bedienstete das Badehaus zu übernehmen und zu betreiben, indem sie pikante und geheime Vertraulichkeiten einiger einflußreicher Stammgäste geschickt auszuspielen wussten. So gelangte ich in den Dienst des Badehauses “Stern des Südens” in Betis.
Von meiner Zeit dort gibt es vieles, was in den schummerigen, dampferfüllten Hallen oder in Nischen zwischen Rohren, Kesseln und Körben mit Tüchern geschah und das ich lieber vergessen möchte, teils zum Schutze derjenigen, die diesen Bericht dereinst lesen mögen, teils zum Schutze meiner selbst. Doch ich stellte fest, dass während meiner Zeit im Sandmeer eine neue Fähigkeit in mir erwacht war und zunächst gelegentlich, dann immer regelmäßiger unterhielt ich die Badehausgäste mit einer kurzen Geschichte oder dem ein oder anderen Lied aus fernen Ländern, das ich einst von Reisenden gelernt hatte. So erlangte ich gelegentlich eine hilfreiche Gunst oder entronn einem zermürbenden körperlichen Dienst.
Und wenn der Kerzenschein auf die dampfende, sanft schaukelnde Wasseroberfläche der Zuber fiel, so wähnte ich sein Funkeln sei ein Gruß der Ahnen.
Eines Tages muss mir beim abendlichen Reinigen und Auffüllen der Räucherschalen im Badehaus ein Quäntchen Räucherwerk zuviel in die Schale gefallen sein, denn in der darauffolgenden Nacht hatte ich einen sehr merkwürdigen und beunruhigenden Traum, und ich erwachte mit einem Gefühl unerklärlicher Dringlichkeit. Doch nur schemenhaft erinnerte ich mich an das, was ich im Schlaf gesehen hatte und in meinen Ohren hallte noch ein großes Gurgeln und Rauschen nach, welches ich jedoch zunächst mit den normalen Geräuschen im Badehaus verwechselt haben musste.
Eine Woche verging und in der Nacht zum Redontag träumte ich wieder unruhig. Ich begenete meinem Vater, Berthollo dem Hopfenschneider aus Lanum in Corenia. Als ich ihm um den Hals fallen wollte bemerkte ich die seltsamen Veränderungen an seinem Körper: anstelle von Ohren hatte dieser nun sich auffächernde Flossen an der Seite seines Kopfes, zwischen seinen Fingern waren Schwimmhäute und sein Bart bestand aus schillernden Schuppen.
“Vater, was ist mit dir geschehen? Bist du bei den Ahnen und wachst du über mich? Hat Xurl dich gesegnet?” fragte ich neugierig.
Doch als mein Vater den Mund öffnete, um mir zu Antworten, kam aus seiner Kehle nur ein dröhnendes Gurgeln und sogleich bemerkte ich, dass um meine Beine herum die Flut plötzlich rasch anstieg. Mit sich brachte das salzige Wasser allerhand halb-verweste Teile an Meeresgetier, die bestialisch stanken und mir sogar im Traum noch den Atem raubten. Zu meinem größten Entsetzen begannen einige der Teile zu zucken und sich von selbst zu bewegen und schmerzhaft an meinen Beinen und hernach an meinem Bauch und Rücken herum zu beißen. Als das Wasser meine Schultern erreicht hatte sah ich noch einmal Hilfesuchend hoch zu meinem Vater, der nun wild gestikulierte bevor das steigende Wasser schließlich mein Gesicht erreichte und ich unvermittelt mit einem Japsen und einem salzigen Geschmack im Mund erwachte und mich auf meinem Lager im Badehaus befand, wo ich eingeschlafen war.
In der darauffolgenden Woche war ich sehr unruhig und schreckhaft und hatte gelegentlich im Dämmerschlaf den Drang, meinen Körper nach Bissspuren abzusuchen. Doch noch wusste ich nicht, wozu die Erscheinung meines Vater mich hatte auffordern wollen.
Erst als ich zum dritten mal träumte, sollte ich wie in meinem eigenen Kopf eine unendlich tiefe und tausendfach widerhallende Stimme vernehmen und endlich begreifen und behalten, was sie mir sagte.
Noch jetzt bin ich sicher, es war eine Botschaft von Xurl, der mich aufforderte, entlang des großen Stroms nach Süden auf eine Suche zu gehen. Was genau ich suchen soll, vermag ich nicht mit Worten zu erklären, doch hat Xurl mir das Wissen sicherlich ins Herz gepflanzt und ich werde es erkennen, wenn ich es finde.
Und so reiste ich den Jolborn entlang, endlich wieder in Richtung des Meeres. Da ich dies Schreibe, befinde ich mich in Jalamanra in Sedomee und vertraue diesen meinen Bericht nun Euch an, bevor ich mich morgen ins Landesinnere begebe, wohin es mich mit unwiderstehlichem Sog anzieht.
Aus Nurian erreichte mich die Kunde von einem rätselhaften Mord auf dem Weinsymposium des Barons von Dasenstein. Am 08. Tag im 1. Xurlmond, 48 n. A. III. ereilte alle Gäste eine plötzliche Bewusstlosigkeit mit einer einhergehenden Amnesie. Ein der betäubten Weinliebhaber konnte nicht mehr auch wachen, was augenscheinlich an seinem Kehlschnitt lag. Einer der Anwesenden musste ein Mörder sein! Da jeder sich weder an letzten Stunden noch Tage erinnern konnte, machte es die Mörderjagd umso schwieriger.
Der Fund von giftigem Bleiweiß, diverser Briefe und dem Umstand, dass die Weinberge in der Nähe zu Grunde gingen, legten einen Zusammenhang mit dem Weinkrieg zwischen Rebenhain und Nurian nahe.
Das Mordopfer stellte sich als Heligonischer Alchemist Specht (alias Meister Picus) heraus, welcher im Auftrag eines Störenweiler Winzers die Konkurrenz in Nurian ausschalten sollte. Doch offensichtlich wurde er zur Belastung für seinen Komplizen, einen Sold-Magier namens Birkenzweig (alias Schmutzfinger). Letzterer konnte zu den Vorfällen leider nicht mehr befragt werden, da er aus Unwissenheit von dem Aldradacher Richter Zenobius Pfeffersack aus dem Arrest entlassen wurde. Die anschließende Flucht des Hauptverdächtigen wurde als Schuldeingeständnis betrachtet. So bleibt auch ein rätselhafter Inhalt eines Briefs des Rebenhain-Störenweiler Weinhauses Öhlberg ungeklärt. Weiter warf auf Nurianischer Seite das Geschäftsgebaren der Traubengold Bank viele Fragen auf.
Geklärt wurde allerdings die Machtquelle des magischen Saboteurs Birkenzweig, welcher sich einer uralten und gefährlichen Kraft bediente, um einen derartig starken Amnesie-Zauber wirken zu können. Durch beherztes Eingreifen konnte jedoch eine ausufernde Gefahrenlage abgewendet werden.
Einige Wochen später konnten mit Saarkas Hilfe die Navigatorin Elisabeth Wolkenstein, Alchemistin Carolina von der Hochschule Jolbruck, Geweihter Kendril aus den Südlanden, Odilo Tangens aus Betis, Heliossohn Fernwyn und Ritter Martin Dorn vom Orden des Lichts, einige ihrer Gedächtnislücken schließen. So vermochten diese hartnäckigen Wahrheitsfinder mir ihre Ermittlungen wiedergeben.
So kann abschließend noch eine Sache zum Weinkonflikt gesagt werden: Der Nurianische Wein Edel-Rundling ist dieselbe Rebsorte wie der aus dem Heligonischen Rebenhain kommende Rundedling. Diese herausragende und ertragreiche Züchtung des ermordeten Winzers Sonnenstuhl wurde von dem windigen Schmuggler Kurt Küfer an beide Jolbornseiten verkauft; natürlich mit dem Versprechen der Exklusivität. Leider führte der massive Anbau zu einer Überproduktion in beiden Länder, was einen massiven Preisverfall nach sich zog. Die Hochschule Jolbenstein ist gerne bereit allen Winzern dabei zu helfen, künftig mit Rebenverjüngung einen vernünftigen Preis für ihre Arbeit zu erzielen. Zusätzlich schaffen wir in Jolbruck ein Studienfach zur Weinproduktion und nennen diese Önologie.
Metabor, Erwählter des Helios
Aroben wird der Schurke genannt, der über einen ungesicherten Riss aus Heligonia nach Corenia kam und nun im Tiefen Süden sein Unwesen treibt. Und ausgerechnet mit dem Reich der Mitte soll er sich verbündet haben.
Bisher ist nicht viel bekannt über diesen Aufrührer. Aus Heligonia kommen Geschichten, dass er vor etwa zweihundert Jahren Herzog von Beridhan, eines damaligens Herzogtums von Heligonia, war.
Er habe mit einem mächtigen Gelehrten nach dem ewigen Leben gesucht und dafür die Lebensessenz anderer gesammelt. Schließlich sei er aber wohl besiegt worden. Nun sei er vor einigen Jahren wieder auferstanden, um sein Recht auf das Herzogtum zurückzufordern, welches inzwischen auf verschiedene Herrscher aufgeteilt wurde.
Dies alles klingt wie eine Gruselgeschichte für adelige Kinder. Dennoch ist ein Schurke unter diesem Namen nun hier in Corenia und scheint tatsächlich ähnliche Ziele zu haben wie zuvor.
Zwar konnten vor zwei Jahren einige seiner Verbündeten aufgehalten werden, die einen Apparat gebaut hatten, dem nachgesagt wurde, dass er Seelen fangen kann, doch ist Aroben selbst weiterhin auf freiem Fuß, Gerüchten zufolge hat er bereits einen neuen Apparate-Bauer in seinen Reihen.
Sein Aufenthaltsort ist unbekannt, doch vermutet man, dass er sich weiterhin im Tiefen Süden aufhält, in der Nähe eines der Knoten des Reichs der Mitte, und dass er bereits neue Verbündete gefunden hat. Die Freien sammeln sich dort und auch ausländische Söldner wurden in Sarotal, Vidal und Enzen vermehrt gesichtet.
Die wenigen Siedler im Süden sind inzwischen ins nördliche Felsroog geflüchtet, da sie ihres Lebens nicht mehr sicher sind.
Doch wo sind die Heligonier, um uns zu schützen?
Wie es scheint, kommt der Ehlerwald nicht zur Ruhe. Zuerst berichtete der
Klosterbruder Videtus aus Rodi über eine Erscheinung des heiligen Adrian
im Ehlerwald (siehe Helios-Bote 80).
Das bewog etliche Pilger sich dorthin aufzumachen, trotz der ständigen
Gefahr sich zu verirren oder gar überfallen zu werden. Im Vertrauen auf
den Beistand eines Heiligen (womöglich Adrian persönlich) begaben sie sich
tief in den Ehlerwald, und es ist nur aufmerksamen Bauern, Holzfällern
und der Ehlerwald-Patrouille sowie glücklichen Zufällen zu verdanken, dass
bisher niemand zu Schaden kam oder auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist.
Keiner dieser Pilger konnte die Erscheinung eines Heiligen bestätigen;
doch sind viele von ihnen der Ansicht, dass ein Heiliger oder sogar der
Eine persönlich die Finger im Spiel hatte, als sie aus der ein oder
anderen Notlage im Wald gerettet wurden, in welche sie sich aus purem
Leichtsinn gebracht hatten.
Es tun sich aber anscheinend noch ganz andere Dinge im Ehlerwald. Schon
mehrere Holzfäller haben berichtet, dass der Daimon tief im Wald sein
Unwesen treibe. Die meisten von ihnen trauen sich auch gar nicht mehr
weiter in den Wald als unbeding nötig. Von Blutopfern und Hexentänzen ist
die Rede, was allerdings von den verständigeren unter den Holzfällern als
Aberglaube abgetan wird.
Unbestritten sind jedoch die Berichte über daimonische Erscheinungen
von als vertrauenswürdig erachteten Holzfällern. So beschwört der alte
Hans Glockenschlag, er habe im Wald direkt vor sich einen Blitz gesehen,
von schrecklichem Donner begleitet; und dann habe er Schwefel gerochen.
Diese Aussage wurde bestätigt durch weitere Holzfäller, wie den allseits
geachteten Jakob Einbaum oder Friedrich Gerstensack, die an verschiedenen
Stellen des Ehlerwaldes dieselbe Beobachtung machten. Andere stimmten
darin zu, wenigsten von Zeit zu Zeit einen kurzen Donner tief im Wald
gehört zu haben.
Die Ehlerwald-Patrouille kann diese Begebenheiten bisher weder bestätigen
noch widerlegen, empfiehlt allerdings allen Reisenden, unbedingt auf den
Wegen zu bleiben und nicht tiefer in den Wald vorzudringen.
Endlich ist der Tag gekommen, den die Darianer seit Wochen herbeisehnen. Nach schier unendlich langer Wartezeit wird der geliebte Landesherr zu seinen Untertanen sprechen, so wie er es in all den Jahren seiner glorreichen Regentschaft getan hat. Wie ein Verdurstender, der die Weiten der Wüste durchquert hatte, dürstete die Menge nach den gräflichen Worten. Schon seit Stunden drängen sich die Kinder der Sonne zum Palast, denn jeder möchte noch einen Platz ergattern, der ihm wenigstens einen Blick auf den geliebten Herrscher gestattet.
Endlich ist der große Moment gekommen. Just als Helios seine letzten Strahlen über den Horizont ergießt, erscheint Graf Dedekien auf seinem Balkon. Ein wahrhaft imposantes Schauspiel, das einen augenblicklichen Sturm der Begeisterung auslöst. Gleich dem Tosen sturmgepeitschter Wellen erheben sich die Stimmen des Volkes und vereinen sich zu einem lauten Ruf, der den Namen des Herrschers so lange wiederholt, bis dieser die Hand erhebt, um Schweigen zu gebieten.
„Mein geliebtes Volk!
Seht her, wie sehr Uns die Götter lieben. Nach vielen Monden der Wanderschaft sind Wir an den Ort zurückgekehrt, wo Unser Herz wohnt. Nun stehen Wir vor dem schönsten Volk des gesamten Königreichs, um von Unseren Reisen zu berichten. Überall drängte sich Uns der Landadel auf, um Unseren weisen Worten zu lauschen. Edle Speisen, erlesene Getränke und langatmige Kurzweil wurden Uns in prunküberladenen Gemächern aufgebürdet, während Unsere Gedanken immer bei euch, Unsere geliebten Untertanen waren. Doch all dieses Ungemach haben Wir über uns ergehen lassen, um weitreichende Handelsbeziehungen zu knüpfen und neue Allianzen zu schmieden, damit Unserem geliebten Land noch mehr Wohlstand zuteilwird. Wir haben in Unserer unendlichen Großzügigkeit dem König Unsere Hilfe zugesagt, den gefürchteten Unhold Aroben dingfest zu machen. Der ruchlose Thronräuber konnte bislang jeder Obrigkeit entwischen, doch Unserer exekutiven Gewalt hat selbst ein ausgekochter Schlawiner wie Aroben sich nicht entziehen können. Unsere leeren Kerker können sodann mit Aroben und seinen Spießgesellen gefüllt werden. So werden Wir den Dank und Respekt des gesamten Königreichs erlangen.“
Nur mit Mühe konnte der Landesvater seine Rede fortführen, da die Woge der Begeisterungsstürme nicht verstummen wollte:
„Mit Wohlwollen haben Wir die neu gebauten Koggen im Hafen besichtigt, die Wir schon bald mit dem heiligen Wasser aus den Höhlen der Leyra weihen werden, um sie dann auf die große Fahrt über das weite Meer gen Süden zu senden. Dort warten nicht nur neue Bündnisse, sondern auch neue Herausforderungen auf Uns und Unser Volk. Es sollen neue Heiligtümer zu Ehren Xurls erbaut werden, Wir werden unsere großartige darianische Kultur und unsere einzigartige Lebensart überbringen.“
Zustimmendes, einhelliges Klatschen und ein lautes „Jawohl“ durchbrach die Rede, während die kühle Dämmerung die Nacht ankündigte.
„Lasst uns das Zukünftige feiern! Doch zuerst soll mein geliebtes Volk sich am Gegenwärtigen erfreuen und eine Nacht voller Liebe und Wein genießen. Wir haben dafür gesorgt, dass dieser reichlich fließt und jede Frau und jeder Mann meines prächtigen Volkes soll auf Unsere Kosten so viel davon trinken, wie er vermag.“
Die rasende Menge zog tanzend und lachend durch die Straßen der Perle aller Städte. Es wurde getrunken und gefeiert bis in die Morgenstunden, so dass die Omus Mühe hatten, die lieblichen Worte des mächtigen Herrschers in alle Winkel des Reiches zu tragen.
Am ersten Tag des 1 Xurlmondes wird in Darbor traditionell der Markt um den Redonsbrunnen abgehalten. Der kunstvoll gestaltete Trinkwasserbrunnen rückt an diesem Tag in den Mittelpunkt des ogedischen Lebens. Die Gläubigen strömen herbei, um sich mit dem klaren Wasser zu reinigen. Zahlreiche Xurlgeweihte wohnen der spirituellen Verehrung bei und bieten neben erleuchtenden Worten auch allerlei heilende Wässer an.
Plötzlich wurde die religiöse Szenerie durch das schrille Läuten der Ausrufer-Glocke gestört. Der Wesir des gräflichen Hauses, Makbul Ibn Ben Feysal, wurde auf den Rand des Brunnens gehoben, um von dort seine Stimme zu erheben.
„Geliebtes Volk unseres großen Herrschers!
Besorgniserregende Ereignisse suchen landesweit die Märkte heim. Gurken, groß wie Buraischwengel überschwemmen die Warenumschlagsplätze unserer Stadt zu lächerlich niedrigen Preisen. Optisch eine Augenweide, doch von fadem Geschmack, geradezu wässrig. Verzehrt man sie nicht sofort, dann wird über Nacht das ganze Ausmaß der Katastrophe gegenwärtig. Binnen weniger Stunden ändert sich der Aggregatzustand von fest zu flüssig – aus der beim Einkauf noch festen, knackigen Gemüse wird übelriechender Matsch.
Auf niederträchtige Art und Weise getäuscht wendet sich der arme, geprellte Darianer von den einstmals so geliebten Gurken ab. Die Frauen weinen über das Unglück, wenn sie ihren Familien statt leckerer Gurken nur eine verdorbene Brühe servieren können. Ob der Dringlichkeit der Angelegenheit hat sich der Dekan der renommierten Academica Rocorion höchstpersönlich um Klärung des Missstandes gekümmert. Ein endgültiges Ergebnis wird im nächsten Mond verkündet, doch es konnte bereits zweifelsfrei geklärt werden, dass es sich um unnatürliches Wachstum handelt. Die Gelehrten konnten sogar Rückstände magischer Strahlung feststellen. Es ist also anzunehmen, dass Gurken mittels Magie vergrößert wurden. Diese entwich jedoch nach dem Kauf, was dazu führte, dass die Verwandlung von der prallen Frucht zum schleimigen Brei nicht lange auf sich warten lässt.
Es versteht sich von selbst, dass kein Darianer es jemals in Betracht ziehen würde, einen solchen Frevel zu begehen, daher sei der Ursprung dieses Betrugs außerhalb der Landesgrenzen zu suchen. Unser geliebter Herrscher rät dazu keine ausländischen Gurken mehr zu kaufen und ein Einfuhrverbot werde gerade geplant.“
Kaum hatte der Wesir seine dringende Warnung ausgesprochen, so wurde sie unverzüglich von jedem Omu des Landes von den Türmen ausgerufen.
Jammernd und wehklagend verließ die enttäuschte Menschenmenge den Marktplatz vor dem Redonsbrunnen, um die naheliegendenTavernen aufzusuchen. Dort ertränkten sie ihre Enttäuschung über die Schändlichkeit der Menschen des Nachbarlandes, jedoch nicht ohne die Gläser auf den verehrten Grafen zu erheben.
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