Am 11. Tag des 1. Xurl konnte ein lauter Knall in Tlamana vernommen werden. Unter der Landbevölkerung brach zeitweise Panik aus. „Bei Helios! Sind die Götter uns böse?“, „Oh weh! Ist Crelldinor vom Himmel gefallen?“, „Ach herrje, steigen die Trolle vom Schlangenkamm herab?“ und ähnliche Schreie konnten vernommen werden.
Baronin Leabell ahnte, woher der Knall gekommen sein mochte und ließ schnell einige Boten zur Universität Idyllie schicken. Dort erhielten diese die nun offiziell verkündete Nachricht, dass bei dem Versuch, ein neues und köstliches alkoholisches Getränk zu brauen, der Kessel explodiert sei. Die Universität habe alles unter Kontrolle, die Außenmauern würden bereits wieder erneuert werden.
Einige Bauern, deren Land rund um die Universität liegt, haben berichtet, dass tatsächlich nach dem Knall ein großes Loch in der Mauer zu sehen war, aus dem Qualm aufstieg. Unter den Bauern wird gemunkelt, dass hier vielmehr wieder mit irgendwelchem Fitzzeug experimentiert wurde. Nun hoffen sie, dass ihre Felder im nächsten Jahr nicht von irgendwelchen sonderbaren Pflanzen überwuchert werden.
Nach Angaben eines Informanten des Boten soll Baronin Leabell kurz nach dem Ereignis einen Besuch an der Universität abgehalten haben, um sich zu vergewissern, dass nichts von den kostbaren Büchern und Gegenständen, die in der Universität gelagert werden, durch die Explosion zerstört wurde. Auf Anfrage des Boten erhielten wir keine Angaben.
In der Seefahrerschenke „Zum Fischmaul“ saßen bei Bier und Ischgi, die Fischerinnen und Fischer des Ortes beisammen, denn der Wirt war früher selbst ein Seebär gewesen. Nach den vielen Gesprächen mit welchen Knoten sich das beste Fischernetz knüpfen lässt, welches Boot bei hoher See am ruhigsten im Wasser liegt und wo gerade die besten Fischschwärme zu finden sind, kommt das Gespräch fast jeden Abend zum selben Thema. Wenn der ewige Kreislauf von Krugfüllen und leeren oft genug durchlaufen wurde, die Gesichtsfarben röter werden und die Stimmen lauter, dann schlägt die Stunde des Anglerlateins. Dann hängen die jungen Fischer an den Lippen der alten und hören, welche Kaventsmänner schon aus der See gezogen wurden. Die meisten Geschichten waren schon oft erzählt worden, doch wie die Kinder konnten die jungen Fischer sie nicht oft genug hören. An diesem Abend setzte sich auch der Wirt zu der Runde.
Wie so häufig begann der ungeduldige Sven mit seiner Geschichte. „Drei Tage jagte ich den Schwarm. Und als ich das Netz raufholte, war es so schwer, dass Fäden rissen und die kleinen Fische wieder ins Meer zurückfielen. Nur einige große blieben im Netz. Von dem Fang konnten wir einen Monat leben.“
Der schmale Björn nahm einen tiefen Schluck aus seinem Humpen und wischte sich den Schaum von seinem dichten Bart mit den Handrücken ab. „Nach fünf Tagen auf See habe ich einen Fisch gefangen, der war so groß, dass meine Frau sechs Tage lang die Schuppen von ihm abschrubben musste, bevor wir ihn essen konnten.“
Die Fischer lachten. „Dass deine Alte nicht die Schnellste ist, wissen wir!“, sagte die rote Venja und knallte ihr Ischiglas auf den Tisch. „Nach sieben Tagen habe ich einen Fisch rausgezogen, der war von hier“, sie streckte ihre linke Hand so weit nach links, wie sie konnte, und zählte laut die Leute auf der Bank ab. „Eins, zwei, drei, vier, fünf. He, Firn! Streck deine rechte Hand so weit aus, wie es geht!“ Firn streckte seinen muskelbepackten Arm soweit er konnte. Es lagen etliche Meter zwischen Venjas und Firns Hand. Anerkennendes Raunen ging durch ihre Reihen. „So lang war der!“
Der dicke Torleif beugte sich vor und als er sprach, dröhnte sein Bass durch die Schankstube. „Nach zwei Wochen auf See fingen wir einen Burschen, der war so lang, dass er von seiner Schwanzflosse bis zum Maul gerade auf unsere Bank hier gepasst hätte. Und hier sitzen zwölf Fischer und Fischerinnen nebeneinander!“
Wieder ging ein Raunen durch den Raum. Doch sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. „Das ist noch gar nichts“, sagte er. „Ihr wisst, dass auch ich früher als Fischer zur See gefahren bin?“ Die älteren nickten. „Ist euch in all den Jahren aufgefallen, dass die Rückwand meiner Schenke gebogen ist und dass die Bank, auf der ihr sitzt, genau in diese Biegung passt?“ Alle Köpfe drehten sich, um nach der der gebogenen Wand hinter ihnen zu sehen und manche standen auf und begutachteten die gebogene Bank, die von Wand zu Wand reichte.
Als sich alle wieder beruhigt hatten, fuhr der Wirt fort. „Das ist deswegen so, weil der Dachbalken über euren Köpfen nicht aus dem Wald stammt von einem gerade gewachsenen Baum, sondern der Knochen eines Fisches ist, den wir zwei Monate im eisigen Nordmeer gejagt haben.“
Alle Köpfe ruckten nach oben und bestaunten ehrfurchtsvoll den bleichen Knochen, der das Dach trug und dem die Biegung der Wand folgte, vor der ihre Bank stand.
„Ha!“, sagte der dicke Torleif und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Das Rückgrat deines Fisches Wirt, ist genauso lang wie mein Fisch war. Es steht unentschieden.“
Der Wirt schüttelte den Kopf. „Das ist nicht das Rückgrat des Fisches. Was ich als Balken für meine Schenke verwendet habe, ist der linke Unterkiefer und auf der anderen Seite des Hauses ist der rechte Unterkiefer. Deswegen heißt meine Schenke auch ,Zum Fischmaul‘.“
Die Fischer und Fischerinnen grölten vor Lachen und bestellen alle noch mehrere Runden Bier und Ischgi, um die Geschichte des Wirtes zu feiern. So machte der Wirt an diesem Abend wieder einmal einen guten Fang.
Ritinus Federschwinger
Kapitän Xurlsen Kielholer wagte nicht, sich umzudrehen… zu groß war die Gefahr, dass der Flamingo, welchen er auf seinem Kopf balancierte, das Gleichgewicht verlor und sich über sein Offizierspatent zu seinen Füßen ergießen würde. „Warum nur“, dachte Kielholer „habe ich mich auf diese verdammte Wette eingelassen? Und warum nur“, so dachte Kielholer weiter “muss ausgerechnet jetzt ein Bote mit einer Nachricht der Admiralität auftauchen?“. Doch ein echter Held kennt immer einen Ausweg! „Legen sie den Schrieb dort hinten auf das tlamanische Möbel. Nehmen sie sich noch einen Keks und gute Heimfahrt!“ Kaum war der Kurier nach einem zackigen Salut verschwunden, ließ Kielholer den Flamingo mit einer mühelosen Bewegung seines Nackens um sich selbst rotierend in die Lüfte steigen, während sich der Inhalt in seine Kehle ergoss, ohne dass auch nur ein einziger Tropfen den Boden benetzte. „Ah, das tut gut, bei der Hitz!“ rief Kielholer, fing das Glas mit der Ferse auf und schlenzte es mit gekonnter Finesse in den Trog für Schmutzgeschirr zu den restlichen Sachen. Nächste Woche würde der olle Piet kommen und den Abwasch machen. Ein tolles Leben, ein toller Landurlaub, eine tolle Jungesellenbude. Dann nahm er sich den Brief von der Chaise Longue (ein Geschenk einer wohlhabenden und einflussreichen Verehrerin) und informierte sich über sein nächstes Abenteuer.
Joost van Goov nahm die Pütz und stülpte sie dem ollen Piet über den kahlen Kopf, der daraufhin, wie ein Thaler Göckele laut krakeelend im Kreis stolzierte. Während dessen nahm die Backbordwache in der Kuhl Aufstellung und ließ im perfekten Harmoniegesang den Ödländerchor aus Wolfgrimm Aramantus Mordsharts Oper Teemon, Kaiser von Teemooranien erschallen. Zur gleichen Zeit begann die Steuerbordwache das Großsegel zu bügeln, während der Stückmeister und der Bootsmann mit Belegnägeln jonglierten. Unbemerkt lief das Schiff auf eine Sandbank auf. Von dem Ruck umgeworfen, purzelten alle Seeleute auf Deck durcheinander. Kielholer erhob sich als erster wieder. „Bei Xurls Harnschlag! Joost Van Goov!“ stöhnte Kielholer, „Kannst Du nicht den Kurs ändern lassen, wie jeder andere auch?“
In jedem Hafen, so ist’s Brauch
Ein Seemann hat sein Liebchen
Ob Maat, Matrose, Smutje auch
Er segelt in der Welt umher
und sie erwartet, Blick aufs Meer
Ihr flottes Seemannsbübchen!
Im ersten Hafen meiner Fahrt
Da wartet schon mein Liebchen
Sie ist von gar adretter Art
Ein langes Kleid, kokett geschnürt
Ein blonder Dutt, der mich verführt…
Hier kommt Dein hübsches Bübchen!
Im nächsten Hafen meiner Fahrt
Da wartet schon mein Liebchen
Sie ist von recht robuster Art
Mit festen Armen packt sie an
Kein Kniff, kein Griff, den sie nicht kann…
Hier kommt Dein starkes Bübchen!
Im nächsten Hafen meiner Fahrt
Da wartet schon mein Liebchen
Sie ist von sehr gewitzter Art
Ob Handel, Scherz, Gelehrsamkeit
Ihr Sinn gräbt tief, ihr Rat trägt weit…
Hier kommt Dein schlaues Bübchen!
Im letzten Hafen meiner Fahrt
Da wartet schon mein Liebchen
Sie ist von zugewandter Art
Die Haut so zart, die Lippen weich
Setzt sich auf meinen Schoß sogleich…
Hier kommt Dein schmiegsam Bübchen!
Doch… nenn ich nur ein Fährboot mein
Ich armes Seemannsbübchen
und schippere tagaus, tagein
nur zwischen Pier und Hafen
und abends heim zu Schlafen
Da wartet schon mein Liebchen
Mein Hübsches, Starkes, Schlaues, Schmiegsames
Mein Liebchen!
Der Mensch denkt, der Fluss lenkt
Die Wahrheit liegt hinterm Horizont
Was die Fische nicht fressen würden, lass liegen
Du kanns dich mit allen anlegen, aber nich mitn Smutje
Watte in Hafen nich kriegs, brauchse nich
Wer vorangeht, fliegt als erstes ins Wasser
Die Käptn is die Schlaueste inne Stadt
Der Steuermann is der Schlaueste in Hafen
Aber ich bin der Schlaueste aufn Schiff!
1. Ich hab´ mal in Darbor ´nen Dreimaster g´sehn
To my hooda, To my hooda
Die Masten so schief wie dem Skipper sein Been
To my ho da, hooda, ho.
Ref: Fahr, Schifflein fahr, bis nach Corenia
der Graf gab bekannt:
da gibt’s neues Land
An den Ufern von Modestia
2. Das Deck war ´ne Wuhling, voll Dreck und voll Schmier
To my hooda, To my hooda
Das war der Mannschaft ihr größtes Pläsier
To my ho da, hooda, ho.
3. Die Kombüs‘ voller Läus, die Kajüt´ voller Dreck
To my hooda, To my hooda
Und der der Schiffszwieback lief von allein schon weg
To my ho da, hooda, ho.
4. Das Salzfleisch war grün und die Maden im Speck
To my hooda, To my hooda
Und der Maat soff den Rum ganz alleine schnell weg
To my ho da, hooda, ho.
5. Und wollten sie segeln, ich sag es ja nur
To my hooda, To my hooda
ging´s drei Faden vor und vier dann retour
To my ho da, hooda, ho.
6. Und kommst du nach Darbor, so heuer nicht an
To my hooda, To my hooda
Sonst landest du auf diesem schrecklichen Kahn
To my ho da, hooda, ho.
Melodie: Trad.
Wie üblich werden wir euch wie für den Boten 84 wieder etwa einen Monat vor Erscheinen informieren. Es ist weiterhin jederzeit möglich, dass ihr uns einen Botenbericht für den kommenden Boten zusendet. Wenn es sich um besonders dringliche Nachrichten handelt, werden wir sie gern vorab online zur Verfügung stellen.
Die offizielle Ausrufung des neuen Lehens in der Baronie Luchnar hat endlich stattgefunden. Wie angekündigt wurde von Seiten der Druidh und Sagai des Landes das Erntedankfest Arán als passender Anlass auserkoren. Der Zeitpunkt dieses Festes ist allerdings vom Ablauf der Ernte abhängig. Ein festes Datum konnte deshalb nicht festgelegt werden.
Die Feier wurde deshalb aufgeteilt in eine offizielle Verkündung durch die Verantwortlichen in Luchnar am letzten Tage dreitägiger Feierlichkeiten, so dass jeder Bewohner des Landes, der die Wegstrecke zurückzulegen vermag, daran teilhaben kann. Im Frühjahr wird es einen weiteren Festakt geben mit Gästen aus ganz Drachenhain und anderen Teilen Heligonias, bei der voraussichtlich auch Fürst Leomar von Drachenhain, Foranan McDonough, Baron von Flaitney und Cailleen McGodfrey, Baronin von Gaeltacht anwesend sein werden.
Als Tag der letzten Ernte wurde der 27. Tag des 1. Xurl bestimmt. Maßgeblich war natürlich die Ernte im neuen Lehen, diese wurde aber so eingeholt, dass auch die Ernte in den anderen Teilen Luchnars abgeschlossen war.
So begannen sich am 28.Tag die Bewohner des Lehens und nach und nach immer mehr Gäste aus den Clangebieten in Kastelmond / Caistlmond, dem Hauptort des Lehens zu sammeln. Auf dem Dorfanger wurde ein großes Feuer entzündet. Speisen und Getränken standen auf Tafeln rund um den Anger und im Saal des Landhauses der Freifrau. In und um Kastelmond gab es aber viele weitere Möglichkeiten sich an kleineren Lagern aus Strohballen oder Fellen zusammenzufinden.
Die ersten beiden Tage des Erntedankes waren weitgehend frei von offiziellem Programm. Man aß und trank miteinander, unterhielt sich, sang alte und neuere, luchnische und tiefländische Lieder. An manchen Tischen wurde gespielt, auf freien Flächen kleinere Wettkämpfe und freundschaftliche Gefechte durchgeführt und vor dem Dorfe mehrere Utzganpartien bestritten, bei den die Mannschaften unabhängig von Zugehörigkeit und Herkunft bunt zusammenfanden. Abends rückte man am Feuer zusammen, erzählte sich Geschichten und Trivialitäten und sang und zechte bis tief in die Nacht.
Die zukünftige Freifrau oder Ceart Caraid des Lehens, Eylwine von Esclarmond hatte sich bis um den Mittag des zweiten Tages zwanglos unter den Feiernden bewegt und die neuen Gäste begrüßt, die auch an diesem Tag zahlreich eintrafen, sogar einzelne aus den naheliegenden Nachbargebieten, vor allem von der Drachentrutz, aus Flaitney und aus Wolfenfeld. Nun trat sie vor die Menge und verkündete, allen Interessierten das neue Lehen noch etwa näher zu zeigen. Drei Wanderungen waren organisiert – je nach Lust und Fußfertigkeit rund um Kastelmond, bis Rotmark und durch die Ausläufer der Moorgebiete oder bis nach Braunfriedensmoor tief im Lehen. Eine große Zahl der Gäste nutzte eine der Möglicheiten und bis die letzten wieder in Castelmond anlangten, brach schon die Nacht herein.
An diesem Abend wurde verkostet, was das Jahr an edlen Tropfen beschert hatte – Bier, Brände und Or-Ban aus den verschiedenen Gegenden Luchnars. Manch einer bereute am nächsten Morgen, nicht doch die eine oder andere Runde ausgelassen zu haben.
Um die Mittagszeit des dritten Tages versammelten sich Druidh und Sagai an einem Ort, der ein gutes Wegstück von Kastelmond entfernt war, auf einer Weide, die an die äußersten Ausläufer des Moores und an einen Wald grenzte. An diesem Grenzpunkt lag ein Cairn, eine Verbindung zur Anderwelt und die Druidh hatten die Weide für geeignet befunden. Natürlich waren sämtliche Druidh und Sagai des neuen Lehens anwesend, dazu manche aus den Clangebieten und einige Geweihte aus dem Osten Flaitneys, der an das neue Lehen grenzt. Sie bereiteten das Land auf den Wandel vor, der klein, aber weit mehr als politisch war.
In den folgenden beiden Stunden sammelte sich nach und nach auch die Festgesellschaft am Rande der Weide und gegen die zweite Stunde war auch der letzte größere Schwung an Gästen eingetroffen. Nur wenige waren in Kastelmond zurückgeblieben, die für den Weg zu gebrechlich waren oder die sich in den beiden vorherigen Nächten zu sehr verausgabt hatten.
Der dem Cairn zugehörige Druidh sprach zunächst einen Segen über den Ort, dann die anderen Druidh und Sagai über das Lehen, Luchnar, das Hochland, Drachenhain und ganz Heligonia. Schließlich wurden gute Botschaften zu den Sternen und mit Behutsamkeit in die Anderswelt gesandt. Die Stunde der Ausrufung war gekommen. Die Festgesellschaft betrat die Weide.
Als erstes sprach der Baron des Landes, Koldewaiht von Hautzensteyn. Er schlug den geschichtlichen Bogen zurück zum Dòrchiu, dem Bruderkrieg im Hochland vor bald hundert Jahren, der die Tiefländer letztlich erst nach Luchnar gebracht hatte, schilderte die wechselhafte Geschichte des Clans- und Vogtswesens über die Jahrzehnte und wie das System, das einst den Zwist überwunden hatte, neuen Zwist hervorrief und letztlich in etwas Neues münden musste.
Als nächstes sprachen nacheinander die Clansoberhäupter Gwarra Tekindra MadGlas, Gallory Lland MadRuadh und Flarn Flirhan MadUaine. Sie schilderten in teils sehr persönlichen Worten das Verhältnis der Clans und der Tiefländer zueinander während ihrer Zeit als Ceann und Ceanna Cuath, die jeweils mehr als 20 Jahre umspannte. Gwarra Tekindra brachte es in ihren Schlusssätzen wohl auf den Punkt: Sie konnte die Tieflandstämmigen als Hochlandbewohner annehmen, als sie begriff, dass das Land selbst sie angenommen hatte.
Zuletzt sprach Eylwine von Esclarmond, die neue Ceart Caraid. Die bittere Vorgeschichte von Teilen ihrer Familie mit den Clans streifte sie nur kurz und schilderte ihre Liebe zu dieser Gegend und wie das Lehen in den letzten Jahren mit Hilfe vieler aufgebaut worden war. Sie schloss mit den Worten: Und so rufe ich Dich, unser Land und Teil unseres Landes, bei Deinem neuen Namen: Artir!
Viermal rief sie den Namen und viermal wiederholte ihn die Menge. Kurz herrschte Stille. Dann strich plötzlich ein Wind über die Weide, im Wald rauschte es in den Wipfeln, aus dem Moor stieg Nebel empor und in der Ferne war ein Ächzen zu vernehmen.
Druidh und Sagai, die um die Weide gesessen hatten, erhoben sich und schritten langsam davon, in Richtung ihrer Cairns, ihrer Haine und Wohnstätten, um die enge, intensive Verbindung mit dem Land, die sie zuvor gewoben hatten, wieder zu lösen. Der Wind legte sich, die Menge fand zur Sprache zurück und begab sich, plaudernd oder sinnierend, in kleinen und großen Gruppen zurück nach Kastelmond. Er herrschte Einigkeit, dass ein guter Name gefunden war – Artir, übersetzt „Unser Land“.
Die Alten, die zurückgeblieben waren, hatten den vorbereiteten Holzstoß auf dem Anger angefeuert und mehrere Ballen auf einer Tafel geöffnet. In ihnen lagerte der Großteil der Jahresernte an Eithill, dem seltenen und kostbaren luchnischen Pfeifentabak, der nun unter den Gästen verteilt wurde. Etliche steckten sich eine Pfeife an oder labten sich an den neuen Speisen und Getränke, die vom Sitz der Ceart Caraid herbeigetragen wurden. Mancher nutzte aber auch die Gelegenheit, sich zu bedanken und zu verabschieden, insbesondere diejenigen, die noch einen weiten Weg vor sich hatten.
So schrumpfte die Menge über den Rest des Tages allmählich wieder, wie sie zuvor gewachsen war, bei Schmaus und Trank, Sang und Spiel, am Feuer und auf den Lagern. Die Stimmung war heiter, etwas ruhiger und besinnlicher als zuvor, doch wieder wurde für die, die geblieben waren, der erste Abend und die erste Nacht in Artir fröhlich und lang, unter guten Sternen und mit dem Segen aus anderen Welten.
Als Chronistin dieses geschichtsträchtigen Erntedankfests möchte ich mir einige Anmerkungen erlauben. Es war mir seit langem klar, dass ich vermutlich für den Heliosboten und ganz sicher für mich an der Ausrufung des Lehens teilnehmen würde und ich habe mich ebenso lange mit der Problematik dieser Gründung beschäftigt. In manchem Jahr rief allein die Erwähnung des Themas nur Desinteresse, Spott oder genervtes Kopfschütteln hervor.
Aus heutiger Sicht ist es aber hervorragend, dass es so lange gedauert hat. In der Vergangenheit hätte dies eine gespaltene Feier sein können, mit Anspannung auf beiden Seiten und dem Risiko, dass irgendein Vogtsbengel oder Clansbock, vielleicht auch eine Clanszibbe einen Eklat anzettelt, eine Rauferei provoziert oder Schlimmeres.
Mittlerweile ist das Lehen ohne eine offiziellen Ausrufung oder einen Namen fast vollständig aufgebaut. Viele Clansangehörige haben es besucht, Handelsverbindungen sind entstanden, Freundschaften. Die mittlere Generation beider Teile spricht die Sprache des anderen fließend, die jüngere in der Regel sogar akzentfrei. Es muss nicht mehr zusammengezwungen werden, was nicht recht zusammen will – es ist tatsächlich etwas zum Gutteil zusammengewachsen und wird dies weiter tun. Das Land ist ganz und heil.
Es war außerdem richtig, zwei Feiern zu planen. Die Luchner mussten diese Wunde zunächst für sich selbst schließen, sich auf sich konzentrieren, um erst in einem zweiten Schritt sich nach außen zu öffnen, auf hochrangige und der Hochlandsprachen unkundige Gäste zu achten und ein auch heligonisches Fest zu feiern. Hier, an Arán mussten keine Rücksichten genommen werden. In ihren Reden wechselten Baron und Freifrau je nach Thematik zwischen den Sprachen, die Clansoberhäupter und Druidh sprachen ausschließlich Luchnisch, die anderen Geweihten nur selten Heligonisch oder das Flaitneyer Idiom – alles eine Unhöflichkeit bei einer Vielzahl an tiefländischen Gästen, hier eine Selbstverständlichkeit.
Aber die heligonische Feier wird kommen. Auch Drachenhain, auch ganz Heligonia möge ganz und heil bleiben oder werden.
Auf Artir!
Kiondre MadRuadh
Verehrte Freunde Luchnar im ganzen Reiche und darüber hinaus,
wie in diesem Boten auch an anderer Stelle bekannt gemacht wird, ist das neue Lehen in Luchnar endlich offiziell ausgerufen worden.
Hierzu wird es weitere Feierlichkeiten geben und zwar am 17. Tage des 1. Poenamondes im kommenden Frühjahr.
Es ist den Einladenden durchaus bewusst, dass sowohl Ausrufung als auch Feierlichkeiten für Luchnar höchstrangig, für das Hochland interessant, für Drachenhain schon nachrangig und für den Rest der Welt weitestgehend irrelevant sind.
Dennoch legen der Baron von Luchnar, Koldewaiht von Hautzensteyn und die neue Freifrau / Ceart Caraid Eylwine von Esclarmond Wert darauf, dass jeder, der teilnehmen möchte, in Kastelmond / Caistlmond willkommen ist.
Adlige und andere höhergestellte Persönlichkeiten – gerne auch alle anderen – bitten wir, ihre Teilnahme formell oder informell anzumelden.
Kiondre MadRuadh
Schreiberin der Feste Hautzensteyn, Luchnar
Politische Korrektheit kann eine Qual sein.
Bei Entstehung gewisser Konstellationen im Hochland war klar, dass es für neue Begriffe Doppelbenennungen geben muss, Namen, die in beiden Sprachen unterschiedlich lauten, Dies galt insbesondere für Namen neuer Orte (heligonisch Kastelmond – luchnisch Caistlmond) oder Titel. So wird die Freifrau mit dem bisher nicht existierende Ceart Caraid übertragen, was aber nicht freie Frau, sondern eher aufrechte Freundin bedeutet.. und an dieser Stelle gehen die Ausführungen eigentlich schon zu weit.
Denn das Problem ist in der gesprochenen Sprache gering. Rede ich Luchnisch, sage ich Ruadhmora, spreche ich heligonisch, sage ich Rotmark und verwende Ruadmora allenfalls, wenn ich meinem hochländischen Gesprächspartner gegenüber besonders höflich sein will.
Wenn ich schreibe, kommen aber die Fragen – trete ich meinem luchnischen Leser, den ich nicht kenne, zu nahe, wenn ich in einem Text über sein Land meine Namensgebung benutze? Formal wäre das zwar korrekt, die fremde Form inkorrekt. Aber wie ist es moralisch zu lesen? Soll ich beide Formen verwenden und riskieren, dass ich spätestens nach dem zweiten Satz über Braunfriedensmoor / Holemsithmondh den Leser ganz verliere?
Deshalb sind wir sehr froh darüber, dass, wer auch immer es entschieden hat, dem neuen Lehen Luchnars nur ein Name gegeben wurde, ein kurzer dazu: Artir. Auf Luchnisch hat das eine tiefe Bedeutung: Unser Land (und das können nun Tieflandhochländer und Hochlandhochländer interpretieren, wie sie wollen). Auf Heligonisch klingt es nur nett. Das muss ausreichen, und wir sind sehr froh darüber, dass es offenbar tatsächlich allen Hochländern reicht.
Mit Konflikten im Hochland reicht es nämlich schon lange.
Mit der Länge dieses Artikels vermutlich auch.
Annerös von Nybelschütz, Braunfriedensmoor, Artir, Luchnar
Jeyharr MadUaine, Holemsithmondh, Artir, Luchnar
Kiondre MadRuadh, Feste Hautzensteyn, nur Luchnar
Am heutigen Tage pulsiert das Leben mehr denn je in der schönsten Stadt des Königreichs. Im Hafen herrscht emsiges Treiben, müssen doch die reich beladenen Schiffe aus den Südlanden gelöscht werden. Doch noch ein weiteres aufregendes Ereignis führt dazu, dass sich die Menschen durch die engen Gassen in Richtung Palast drängen. Endlich ist der Tag gekommen, den die Darianer stets mit unbändiger Freude herbeisehnen. Heute wird der geliebte Landesherr das Wort an seine Untertanen richten, die sich bereits in beschwingter Erwartung auf dem Platz vor dem Palast eingefunden haben. Schließlich galt es nicht nur die Worte des verehrten Gebieters zu vernehmen, vielmehr möchte jeder noch einen Platz ergattern, der auch einen Blick auf den vergötterten Herrscher gestattet.
Der ohrenbetäubende Lärm der Menschenmasse erstarb augenblicklich, als Graf Dedekien auf seinen Balkon trat. Doch dann zerriss der Sturm der Begeisterung die nur kurz anhaltende Stille.
Sichtlich gerührt ließ der Landesvater seine Kinder für eine Weile gewähren, bis er seine Hand erhob, um Schweigen zu gebieten.
„Mein geliebtes Volk!
Die Götter sind Uns wohlgesonnen. Nach vielen Monden auf rauer See sind unsere Schiffe aus den Südlanden reich beladen zurückgekehrt. Noch viele Tage wird es dauern, bis Wir alle Schätze gesichtet haben und Uns ein Bild vom Umfang der Reichtums machen können. Doch soviel sei gesagt: ein jeder Unserer geliebten Untertanen soll teilhaben am Überfluss.“
Noch bevor die Menge erneut in rasende Begeisterung ausbrechen konnte, erhob Graf Dedekien seine Stimme:
„Wir haben beschlossen, dass ihr alle an den edlen Speisen und erlesenen Getränken Unserer Tafel teilhaben sollt, denn es ist mehr als genug für alle da. In der eigens für Unser Vorhaben eingerichteten Taverne „Zum Füllhorn“ werden fortan an jedem Abend die Überschüsse Unseres Mahles gereicht. Ein von Uns berufener Beamter wird dafür sorgen, dass die Verteilung über alle Maßen gerecht wird und sich alle an Unserem Segen laben können.“
Nur mit Mühe konnte der Landesvater seine Rede fortführen, da die Woge der Ergriffenheit ihn sichtlich rührte:
„In anderen Ländereien sind Armenspeisungen üblich. Diese sind eines Darianers nicht würdig. Unsere geliebten Untertanen erhalten keine Almosen, sie nehmen Platz an Unserer Tafel.“
Die Menge applaudierte, bis die Handflächen zu schmerzen begannen.
Diese Worte tragen nun die Omus in alle Winkel des Reiches, damit die Großzügigkeit des verehrten Herrschers an alle DarianerInnen verkündet wird.
Für gewöhnlich interessierten sich die DarborerInnen eher weniger für die amtlichen Aushänge am Redonsbrunnen. Doch dieses Mal sorgte der in großen Lettern geschriebene Aufruf für Diskussionsstoff. Ein überraschtes Murmeln und zustimmendes Nicken war zu vernehmen, denn der Appell des Großwesirs rannte offene Türen ein:
„Werte BürgerInnen Darbors – Wir brauchen Euch! In den letzten Monden verschwand ein vertrauter Anblick aus den Gassen unserer geliebten Stadt. Das Bettelvolk hat sich gänzlich zurückgezogen. Dies kann nur darauf zurückgeführt werden, dass so viel für alle da ist, dass keiner mehr gewillt ist, seinen Lebensunterhalt zu erbetteln. Erst jetzt begreifen wir, was wir verloren haben. Wohin mit unserer Mildtätigkeit? Der Verlust von sozialen Kontakten, wenn wir einsam durch das Hafenviertel streifen, ohne ausgeraubt zu werden. Die exzellente Unterhaltung, wenn uns ein Gestrandeter eine traurige Geschichte erzählte. Die körperliche Nähe, wenn sich Krüppel an unsere Beine festklammerten, um ein Stück Brot zu ergattern.
Jeder ist aufgerufen, diesem Missstand ein Ende zu bereiten. Daher bieten Wir euch die Gelegenheit ein Stück darianer Kultur uns unsere Stadt zurückzubringen. Ein jeder, der sich der Tradition der Bettler und Schnorrer verpflichtet fühlt, kann für einige Stunden diese Rolle übernehmen. Entsprechende Kleidung, ein rostiges Messer und eine Bettelschale werden gestellt, ebenso erfolgt eine kurze Einweisung in das Gewerbe.
Nach erfolgreich erledigtem Einsatz wird eine Aufwandsentschädigung ausbezahlt. So zögert nicht, liebe BürgerInnen und meldet euch zum freiwilligen Dienst beim Hintereingang des Palastes, linke Tür mit der Aufschrift „Kulturamt“.
Was sich schickt:
• Gemeinsames Zugegensein
• Tiefland-hochländische Lehen
• Düfte von „Die Alte Parfumerie“
• Lehrjahre im Hochland
• Das Herzog-Uriel-II-Atoll!
Und was nicht:
• Fluchten von Hauptverdächtigen
• Bündnisse zwischen Staatsfeinden
• Reliquienentwendungen
• Wohlgeordnete Zustände der Anarchie
• Risse, die durch die Gesellschaft gehen
Seit einigen Monden scheinen wieder gehäuft Menschen aus Süd-Nuremburg ihre Hoffnung auf eine Flucht nach Betis zu setzen, indem sie sich über Flöße auf dem Jolborn bis in die freie Reichsstadt treiben lassen. Die armen Seelen wurden anfangs von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt noch fürsorglich aufgenommen, doch inzwischen häufen sich Stimmen, welche die hohe Anzahl an Bettlern in den Gassen auf ebenjene Flüchtenden zurückführen und vom Stadtrat schnelle Maßnahmen verlangen. Um etwaigen Unruhen vorzubeugen hat dieser deshalb beschlossen, die Tore für Neuankömmlinge aus Süd-Nuremburg bis auf Weiteres geschlossen zu halten, was wiederum von anderer Seite der Bürgerschaft scharf kritisiert wird. Die Flüchtenden aus Süd-Nuremburg scheinen angesichts dieser Maßnahmen nun ihr Glück auf der anderen Seite des Jolborn, in Borngart, zu versuchen.
Tageskurse
Aurazith 1 heligonische Unze 2 Dukaten
Brennholz 1m3 9 Groschen
Pferd 50 Dukaten
Pferdewagen 55 Dukaten
Der Anstieg der Brennholzkosten ist auf die Vorhersagen eines frühen harten Winters zurückzuführen. Allgemein stiegen in letzter Zeit vor allem die Kosten für Lasttiere und Wägen, da viele Lasttiere nach Südnuremburg und Ostdracconia verkauft wurden.
Francesca Quintanilla, Patrona einer der einflussreichsten Familien Betis, hatte in diesen Tagen einen herben Schicksalsschlag zu bewältigen. Sie beklagte den Verlust des Mopses „Sir Henry“, eines ihrer Lieblingshunde. Niemals zeigte sich die edle Dame ohne ihre Möpse in der Öffentlichkeit – vielmehr stellte sie diese stolz zur Schau. Die gepflegten Rassehunde unterstrichen perfekt das aristokratische Auftreten der Patrizierin und rundeten ihre prachtvolle Garderobe ab.
Stets sorgten ausgewählte Diener für ausreichend Auslauf, um dem Bewegungsbedürfnis gerecht zu werden und so die Vitalität der Möpse zu erhalten. Doch dieser Freimut sollte denjenigen Recht geben, die darin schon immer eine gefährliche Fahrlässigkeit gesehen hatten. So begab es sich, dass Sir Henry auf einem seiner Spaziergänge die Verfolgung einer Ratte aufnahm. Im Eifer des Jagdfiebers stürzte der todesmutige Mops in einen der Kanäle und entzog sich dort den Blicken seiner Diener. Als diese die Leine einholten, war daran weder der Hund, noch das Halsband.
An dem besonders fein gearbeiteten Halsband finden sich die gleichen Zierrate aus edlen Steinen wie im Halscollier der Herrin wieder.
Außer sich vor Wut und Trauer legte Francesca Quintanilla selbst Hand bei der Bestrafung der Diener an. Zwar wurde die Leiche von Sir Henry noch nicht geborgen, doch für die Patrizierin scheint ein Fortleben ihres Mopses ausgeschlossen. Wie könne er ohne sein feines Essen aus erlesenen Zutaten auch nur einen Tag überleben? Die aufwändige Zubereitung der Mahlzeiten, die fürsorgliche Pflege und nicht zuletzt die zärtliche Zuwendung könne der Mops keinesfalls außerhalb der Palastmauern des Anwesens Quintanilla erfahren.
So wird sie von nun an allen Menschen, die ebenfalls den Verlust eines geliebten Lebewesens zu beklagen haben, als leuchtendes Vorbild dienen. Mit hoch erhobenem Haupt zeigte sie Stärke in dieser verzweifelten Lebenslage. Den Tränen nahe, doch voller Selbstbeherrschung, verkündete sie, dass sie nicht eher ruhen möge, bis sie den Leichnam von Sir Henry standesgemäß bestatten könne.
© 2003-2021 Waldfaun-Verlag, Aalen-Waldhausen
Alle Rechte vorbehalten
Berichte von Arnulf Breuer, Oliver Friese, Inés Hermann, Marc Hermann, Benjamin Rampp, Marc Hermann, Benjamin Rampp, Andreas Reicke, Text umgedichtet von Uli Matzura und Niki Heiß