In der kleinen, aber geschichtsträchtigen darianischen Ortschaft Ravani, sehr nahe der sedomeesischen Grenze betreibt unsere Familie seit vielen Generationen das gepflegte Gasthaus „Zum geprellten Zecher“. Eines schönen Tages, als angenehme Frische der Poenamonde bereits in die sengende Hitze der Heliosmonde umschlägt, lässt uns Vetterchen das ganze Haus putzen. Es ist nicht etwa so, dass wir unser Gasthaus nie putzen, aber eben nie einfach so unterm Jahr. Ich frage natürlich: „Vetterchen, warum lässt Du uns das Haus putzen, wo sich doch noch nicht einmal richtiger Schmutz angesammelt hat?“ Die Antwort kam prompt und ohne spannende Vorgeschichte: „Wir bekommen morgen hohen Besuch aus Darbor und Marola. – Keine weiteren Fragen jetzt, gehe zum Fluss, hole Wasser und fange an zu schrubben.“ Was haben wir unser eigentlich schon schönes Gasthaus noch prächtiger gemacht, denn solch hohe Gäste hatten wir noch nie.

Pünktlich zur Mittagsstunde treffen dann die beiden Delegationen aus Sedomee und Darian ein. Mit ernster Miene schütteln sich die prächtig gekleideten Damen und Herren die Hände. Vetterchen weist ihnen eine separate Gaststube zu, damit die Verhandlungen ungestört ablaufen können. Ich war so neugierig und wollte unbedingt die Bedienung der Delegation übernehmen. Aber Vetterchen meinte, dass sie keine Störung dulden werden. Zwei Stunden lauschte ich angestrengt, um etwas interessantes zu vernehmen, doch es war nichts zu hören. Plötzlich vernahmen wir fröhliches Lachen aus der Gaststube. Zwischen dem angeregten Gespräch war sogar liebliche Musik zu hören. Jetzt durfte ich die Gaststube betreten, denn der Schreiber aus Sedomee bestellte einen Schlauch Wein nach dem anderen. Die Gesellschaft war schon recht ausgelassen und ging dann zum Abendessen über. Viele Stunden dauerte die Feier noch an und wir konnten erst im Morgengrauen zu Bett gehen.

Am nächsten Morgen verabschieden sie die beiden Delegationen voneinander mit einer herzlichen Umarmung, nachdem sie einen gemeinsamen Götterdienst abgehalten hatten. Der sedomeesische Schreiber drückte Vetterchen und mir noch ein ordentliches Trinkgeld in die Hand. Völlig verblüffte blickten wir den beiden Gruppen noch eine Weile nach, die sich immer wieder zum Abschied zuwinkten, bis sie aus unserem Blickfeld verschwanden. Die einen setzten wieder über den Fluss in Richtung Sedomee über und die anderen zogen gen Süden.

Wir haben uns noch tagelang gefragt, ob es denn an unserem sauberen Haus lag, an unserem schmackhaften Essen oder an unserem betörenden Wein, dass sich die beiden Delegationen so gut verstanden hatten. Vetterchen meinte: „Sie kamen als Feinde und gingen als Freunde.“ So beschlossen wir die weisen Worte unseres Vetterchens auf ein Brett zu schreiben und es in die Gaststube zu hängen, als Erinnerung an diesen denkwürdigen Tag. Obgleich sich bei mir schon wieder Zweifel regen, ob das mit der Freundschaft für unser Geschäft so gut ist. Das wird uns aber die Zukunft zeigen, jetzt müssen wir erst mal das Trinkgeld gut anlegen.

Pecunia AyBaytan

Erschienen in Helios-Bote 70