Ein Aufruf an alle Barden, Sänger, Gönner und Freunde von Liedern, Gesängen und Melodien
Liebe Freunde des (nicht nur) heligonischen Liedguts!
Die Bardenakademie zu Gaberon hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein Archiv heligonischen Liedguts zu erstellen. Das Augenmerk soll zunächst auf zeitgenössische Stücke gelegt werden, die in den letzten drei Jahrzehnten entstanden sind Auch ältere Werke sind aber willkommen. Aufgenommen werden Texte und / oder Melodien, die aus Heligonia stammen oder in Heligonia bzw von Heligoniern gerne vorgetragen werden. Dies gilt auch für Lieder / Texte, deren Melodie ursprünglich nicht aus Heligonia stammt. Wir bitten deshalb alle Interessierten, eigenes oder anderweitig vorliegendes Material uns zur Verfügung zu stellen. Auch Zweifels- / Grenzfälle dürfen gerne vorgelegt werden.
Eine Herausgabe an andere oder eventuelle Veröffentlichung wird selbstverständlich nur in Absprache und mit Angabe der Verfasser stattfinden. Eine Liste bereits vorliegenden Materials (um Mehrfach-Einsendungen zu vermeiden) kann angefordert werden.
Auf die einigende Kraft der schönen Künste!
Freifrau Gundwina von Gaberon
Lothelm Rindelbach, Kanzler der Bardenakadenie zu Gaberon
Canoch MadUaine, Bibliothekar der Bardenakademie zu Gaberon (komissarisch)
Leberknecht jr. stapfte wütend die Kellertreppen der Universität hinauf. Sein Vater hatte ihn als kleinen Jungen oft mit in die Tiefe genommen und ihm die Kisten, Schränke und Regale gezeigt, in denen die zahllosen Artefakte lagerten, die der jahrzehntelangen Sammelwut der Gelehrten zum Opfer gefallen waren: Unzählige Apparati, oft auch nur Teile davon, intakt, teilweise zerlegt oder auch nie fertig gestellt, harrten einer weiteren Untersuchung oder waren wie uninteressant gewordenes Spielzeug in einer Ecke abgelegt. Ganze Kisten mit Amuletten, seltsamen Steinen oder bemalten Kacheln standen mehr oder weniger sortiert in staubigen Regalen. In hunderten von Gläsern befanden sich in alchimistische Essenzen eingelegte Monstrositäten. Zerbrochene Zauberstäbe, verbrauchte Schreibfedern und kistenweise Pergamentfetzen mit vermurksten Ritualsprüchen verstopften die Schubläden. Besonders fasziniert hatte ihn dabei immer die leicht schillernde Aura, die über all dem waberte.
Sein Vater hatte sich als Hausmeister redlich bemüht, Ordnung in das Chaos zu bringen, die wichtigsten Dinge sorgfältig und staubfrei in Kisten zu verpacken, zu beschriften und zu katalogisieren, musste aber schließlich vor der schieren Menge kapitulieren.
Leberknecht erinnerte sich häufig an das verzweifelte Händeringen seines Vaters, wenn er beim Abendessen von einer neuen Wagenladung an „Mitbringseln“ der Gelehrten erzählte: „Wo soll ich all das nur unterbringen? Wem nutzt das Gerümpel? Warum müssen sie nur ständig alles, alles mitnehmen? Sie werden sich das Zeug doch niemals mehr ansehen – keiner wollte je wieder etwas aus dem Keller von mir geholt haben!“
Doch – und das hatte ihm sein Vater immer wieder eingetrichtert – wegwerfen war keine Lösung, die Dinge waren… nun ja… magisch. Man konnte sie nicht einfach zum Komposthaufen hinten im Garten bringen. Auch Vergraben oder im Brazach Versenken schied aus: Was, wenn die Artefakte in die falschen Hände gerieten oder auch nur von einem hungrigen Fisch gefressen wurden? Bekam er womöglich grüne Flügel oder begann gar zu sprechen? Solche Dinge waren… gefährlich.
Jeder wußte, dass Magie das Unsichtbare anzog, mit Grausen erinnerte man sich in der Universität an den Fall der Burg Thalwacht, der für alle Neulinge als warnendes Beispiel herangezogen wurde, wenn es um unvorhergesehen Nebenwirkungen ging.
Und darin bestand das zweite Problem, dachte Leberknecht jr. besorgt, als er die Gänge entlang hastete. Sein Vater war auch für das reibungslose Funktionieren des Hauptdämpfers zuständig gewesen, der verhinderte, dass die Magie, die innerhalb der Universität gewirkt wurde, nach außen drang und die Aufmerksamkeit des Unsichtbaren auf sich zog. Nicht, dass er genau gewußt hätte, wie der Apparat wirklich funktionierte, seine Arbeit bestand hauptsächlich aus dem Ablesen und Vermerken der Betriebsanzeigen, der Überwachung der Energiezufuhr und gelegentlichem Ölen. Jegliche Änderungen hatte er zu melden, was auch gewissenhaft geschah. Doch bald schon nach der Gründung der Universität Idyllie reichte die Konzeption des Hauptdämpfers nicht mehr aus, die stetig wachsende Menge Magie in den Kellern zog mehr Energie ab als berechnet, Erweiterungen wurden nötig. Anfangs noch mit Sorgfalt durchgeführt, hatte sich inzwischen ein Sammelsurium an Applikationen breit gemacht, deren Verbindungen mit dem Hauptapparatus kaum mehr zu entwirren waren. Nach dem allseits bekannten Grundsatz „Was läuft, wird nicht befummelt!“ hatte es seit längerer Zeit kein Gelehrter mehr gewagt, Hand an den Gesamtaufbau zu legen.
Doch bereits zu Zeiten seines Vaters hatte das Dämpfungsfeld begonnen, sich zu verändern, das leise Summen war einem lauteren Brummen gewichen, und manche Zeiger näherten sich bedrohlich den roten Feldern. Sein Vater hatte ordnungsgemäß Meldung erstattet, und hin und wieder bemühte sich tatsächlich ein Herr Magister in den Keller, warf flüchtige Blicke auf den Hauptdämpfer und verschwand mit einem gemurmelten „Das geht noch, das geht noch…“ wieder in höhere Gefilde.
Die letzten Wartungsarbeiten waren eher oberflächlich durchgeführt worden, wie immer fehlte für solche Dinge das nötige Geld und die erforderliche Zeit. Doch seit dem Neustart vor einer Woche lief irgend etwas nicht mehr rund, Leberknecht spürte es in den Nackenhaaren. Es kam zu kleinen Aussetzern, nichts dramatisches, aber sie wurden mehr. Auch die Raumtemperatur war gestiegen. Leberknecht jr. hatte eine dringende Note verfasst, worauf tatsächlich eine Gruppe würdiger Robenträger gekommen war und stirnrunzelnd das eine oder andere Zahnrädchen in Augenschein nahm. Nach längerer Beratung war man sich einig, dass die Temperatur im Hauptdämpferraum doch recht warm sei. Seitdem hatte er nichts mehr gehört.
Und nun das: Am Vorabend war eine Forschungsexpedition aus WußteSaarkawoher eingetroffen, natürlich wieder mit den obligatorischen Kisten voller Fitzkram. Noch in der Nacht war er durch seltsame und beunruhigende Geräusche aus dem Dämpferraum geweckt worden: Ein unheimliches Sirren und Vibrieren drang durch die Grundmauern der Universitas. Die Schlieren aus den Lagerkellern hatten die untersten Treppenstufen erreicht und faserten in die Eingangshalle, in der die „Souvenirs“ standen. Unter großen Mühen schleppte er eine Kiste aus dem Dämpfungsfeld nach draußen in den Innenhof und ging wieder zu Bett. Sollten sie ruhig zetern. Er war hier für die Sicherheit der Menschen in diesen Mauern verantwortlich, auch wenn er keinen gelehrten Titel trug und nur als einfacher Hausmeister behandelt wurde.
Natürlich hatte es am Morgen wütende Diskussionen im Hof gegeben. Magister Belgabor bestand darauf, seine Kiste ins Hauptgebäude „zum Zwecke der Untersuchung“ zu bringen, was Magister Adastratus vorerst verhinderte, bis die Probleme mit dem Hauptdämpfer geklärt waren. Das Beutegut konnte aber auch nicht ungesichert im Hof stehenbleiben, so dass sich nach längerem Hin und Her Magister Quendan anbot, ein temporäres Dämpfungsfeld zu errichten, was wiederum Magister Isildor erboste, der darin keine dauerhafte Lösung und schon gar keinen geregelten Forschungsbetrieb erkennen konnte. Und er werde seine eigene Kiste selbstverständlich mit in seine Bibliothek nehmen!
Schließlich zogen sich die werten Gelehrten zur Beratung in die Mensa zurück. Der Nachmittag verging.
Nun hatte sich die Vibration des Hauptdämpfers plötzlich abermals verändert. Leberknecht jr. stürzte in den Keller, bahnte sich halbblind einen Weg durch schillernden Dampf, wehrte sich gegen einen Schwarm flatternder Schreibfedern, wich einem Thesaurus aus, der durch die Regale vermodernder Bücher galoppierte, und sah im ohrenbetäubenden Kreischen konvergierender Sphären die Anzeigen: Alle Nadeln zitterten im roten Bereich! Ohne Zweifel hatte der Bibliothekar seine Kiste heimlich in sein Studierzimmer geschafft… und da war noch etwas… Leberknecht hastete wutentbrannt die Treppen hinauf ins Erdgeschoß – tatsächlich! Magister Belgabor stand, fasziniert dem unterirdischen Wummern lauschend, in der Eingangshalle und legte vorsichtig ein weiteres Artefakt auf einen kleinen Haufen. „Aufhören!“ brüllte Leberknecht. „Hört sofort damit auf! Schafft das Zeug raus, hier fliegt uns gleich alles um die Ohren!“ Doch Belgabor hob beschwichtigend die Hände. „Das muss der Dämpfer abkönnen…“ Entschlossen schritt der Magister durch das Tor in den Hof hinaus. Leberknecht stürzte hinterher. „Nichts kann er! Der Apparatus läuft seit Wochen am Anschlag! Warum könnt ihr solche Dinge nicht einfach an ihrem Ort lassen?!“
„Leberknecht…“ Magister Belgabor schüttelte milde lächelnd den Kopf und nahm etwas aus der fast leeren Truhe, die er genau eine Handbreit vor der inzwischen flimmernden Grenze des Dämpfungsfeldes platziert hatte. „Warum überlasst Ihr solche Dinge nicht einfach den Leuten, die sich damit auskennen? Vertraut mir: nur noch dieses hauchdünne Amulettchen –“
Unbekannter Autor
Die Freie und Erste Punische Akademie der Hohen Magie und Arcanes Institut zu Thalwacht möchte bekannt geben, dass Auskunftsanfragen und Beratungsanliegen von nun an an die neu eingerichtete Schreibstube für auswärtige Angelegenheiten zu richten sind. Nachrichtenempfang wird auf den meisten mundänen und magischen Wegen akzeptiert.
Die verehrte Erzkanzlerin und das Kollegium möchten ferner die grenznahen Bauern und Gehöfte der Provinz Gaberon in der Baronie Escandra darauf hinweisen, dass das gewöhnliche Haushuhn Gallus Domesticus auch auf natürliche Weise diese bestimmte Form aufweisen kann. Zusammenhänge zwischen den Tätigkeiten des Kollegiums und diesem Phänomens konnten von den verantwortlichen Magistern ausgeschlossen werden.
Die Bären unter Hauptmann Anna von Steinrich bedanken sich herzlich für die anhaltende Unterstützung ihrer Verbündeten und Freunde nach Ihrem Auszug aus den Sydlehen und der Erklärung ihrer Unabhängigkeit.
Besonderer Dank gilt hier dem Clan der O’Brians für die großzügige Hilfe und Gastfreundschaft. Die Bären vergessen nicht und versprechen anhaltende Freundschaft und Beistand, in dem was auch immer kommen möge.
Mit dem Nahen des Frühlings nehmen wir nun unsere alte, angestammte Aufgabe wieder auf, die Bevölkerung stets vor Gefahren und Unbill zu schützen. Sei es aus Überzeugung für die gerechte Sache oder in Diensten eines Auftraggebers. Bei Bedarf oder Interesse am Beistand der Bären ist sich an Hauptmann Anna zu wenden.
Im Zuge dessen wurden auch die Rekrutierungsmaßnahmen wieder aufgenommen. Interessierte können sich im Tross melden oder Kontakt zu örtlichen Vertretern oder Verbündeten aufnehmen.
Liebe Kinder gebt fein Acht,
Willkür hat mir nichts gebracht.
Zauberte an Tieren rum,
manche wurden schrecklich dumm!
Der wahre Grund der Tollerei?
Im Kopf mehr Platz für Denkerei!
Und hatte es dann funktioniert,
ward an mir selbst es ausprobiert.
Doch was geschah liegt auf der Hand,
denn was ich tat ich nicht verstand.
Mein Geist ward wirr,
ich sprach nur irr!
Denkerei im Überfluss
führt am Ende bloß zu Stuss.
Doch Rettung eilte bald herbei
und nicht in Form von Zauberei.
Ein Schüler der arkanen Kunst!
Albrich sieht der Stunde Gunst.
In einem klaren Augenblick
erklärte er mir einen Trick.
Ich stellte mir ein Loch nun vor.
Ja, Albrich war gewiss kein Tor!
Denn meine wirren Gedanken
darin ganz schnell versanken.
Albrich wird ein Held mir bleiben,
dies ohne ihn ich könnt nicht schreiben.
Elinchen Wunderlich
Wie befürchtet, gestaltet sich die Orientierung im Ödland schwierig: Obwohl die Gegend nördlich von Härtwigs Hafen noch grün und fruchtbar ist und es an markanten Landschaftspunkten nicht fehlt, ist der Kompass schier nutzlos. Himmelsrichtungen scheinen keine Rolle mehr zu spielen, und die Landschaft, die man eben noch durchwandert hat, verändert sich im Rücken auf subtile Weise. Wir versuchen, mehr oder weniger nördliche Richtung zu halten und erreichen schließlich eine Burgruine. Dort entdecken wir eine Tafel mit den Symbolen der Viere, durchbrochen mit einem ceridischen Kreuz. Im Innenhof kämpfen drei Männer miteinander, augenscheinlich unsere ersten Ödländer. Als wir zu Hilfe eilen, stellt sich heraus, dass es sich nur um ein Kräftemessen handelt, dem sie aber enorme Wichtigkeit beimessen. Stolz erklären sie uns „Mein Gott ist Javare!“ oder „Mein Gott ist Vahrim!“ Während wir noch verblüfft nachfragen, bricht ein Sturm brüllender, Waffen schwingender Ödländer über uns herein. Die drei machen keine Anstalten, uns zu helfen, und kehren uns lachend den Rücken. Nur mit knapper Not können wir uns erwehren, doch kaum einer bleibt ohne Verwundung. So schnell der Angriff über uns kam, so schnell ist er auch wieder vorbei, die Horde zieht weiter, nur eine Eule flattert herum.
Um unsere Verwirrung noch zu vergrößern, verwandelt sie sich in einen Menschen und lädt uns zum Ulsari-Fest in eine Taverne in der Nähe ein. Die Eule, vielmehr der Mensch, behauptet, ein Formwandler zu sein, eine Begabung, die hier wohl öfter vorkommt. Wir erkundigen uns nach dem Sinn des Ulsari-Festes und erfahren, dass es ein großer Tauschtag ist. Besonders begehrt sind magische Fokusse, aber so etwas haben wir natürlich nicht im Gepäck.
Unterwegs erfahren wir noch, dass das Ulsari-Fest für Erneuerung und Fruchtbarkeit steht, eigentlich nicht ungewöhnlich, da heute ja auch das ogedische Laubfest mit ähnlicher Bedeutung ist. Interessant ist auch, dass in letzter Zeit mehr Fremde in der Gegend aufgetaucht sind, darunter auch Heligonier. Letztere retten uns vor einem weiteren Angriff, als wir mehr tot als lebendig in den Hof der Taverne humpeln: Eine Gruppe aus Ankur um Ritter Gerdhelm, die die Leomark über den Landweg erreichen wollte, hängt hier schon seit mehreren Wochen fest. Alle Bemühungen, den Ort zu verlassen, führen immer wieder zum Haus zurück.
Beim Tauschtag erzählt man uns, dass es in der Nähe Orte mit Ameryllvorkommen gibt. Wir sammeln einiges davon ein, doch die Ulsari verlangen, es weit außerhalb der Taverne zu deponieren. Ulsar könne sie dann nicht mehr sehen und beschützen. Vor den Angreifern? Keine Antwort. Unsere Vermutung, es könnte der Weg aus der Tavernen-Falle sein, bestätigt sich nicht, jedenfalls solange keiner das Reisen durch Ameryll beherrscht. Für Ceriden scheint es ohnehin unmöglich zu sein.
Über unsere Angreifer erfahren wir, dass sie „Unberechenbare“ genannt, von allen Ödländern gefürchtet werden und es kein Mittel gegen sie gibt. Die Katze, ein weiterer Gestaltwandler, erzählt mir, dass die Angriffe der Unberechenbaren in letzter Zeit mehr geworden sind, dass zunehmend alte Tabus gebrochen wurden. Und obwohl die Taverne von Ulsar geschützt wird, kamen die Angreifer ungewöhnlich nahe. Es ist also eine Veränderung im Gange.
Ein Wildschwein-Gestaltwandler erklärt mir bereitwillig die Stämme der Ödländischen Gesellschaft, wobei eher die Bezeichnung Kasten passen würde:
Die Ulsari sind die Zauberer und Formwandler, sie haben verschiedene Begabungen.
Die Wogu sind die Bauern, die den Acker bestellen und für Nahrung sorgen.
Die Gorsan reden mit den Göttern.
Die Bensur arbeiten mit Papier, sie schreiben und forschen.
Die Dechmol sind die Heiler und Schamanen, sie haben Kontakt zur Geisterwelt.
Die Javare sind die Krieger. Innerhalb dieses Stammes gibt es die Garde: Sie sorgt für Recht und treibt Steuern ein.
Zudem gibt es verschiedene Aspekte, die die Stellung innerhalb der Kaste beeinflussen können, aber das erschien mir etwas unklar. Kommt etwa zu einer Berufung zum Javare der Aspekt „Glück“ hinzu, so will er sich ständig beweisen und fordert jeden zum Kampf – er wird zum Unberechenbaren.
Überraschend taucht ein Ritter des Ordens vom Wahren Wort auf, nach dem wir auf der Suche sind. Er scheint öfter anwesend zu sein und lehrt einige Kinder aus einem Buch die ritterlichen Tugenden. Jener Kodex stellt sich als verfasst von „Jorin“ heraus, einer äußerst geheimnisvollen Person in arkanen Kreisen, wenn ich mich recht erinnere. Als Ritter Larion von den acht Artefakten, nach denen wir auf der Suche sind, keinen blassen Schimmer hat, wird er uns verdächtig. Tatsächlich handelt es sich um einen Hochstapler, der die Ausrüstung des toten Larion an sich genommen hat.
Wir machen uns auf die Suche nach den Überresten des echten Larion und finden schließlich seine Gebeine im Wald. Eines der sechs Kinder ist in der Lage, mit Kobolden zu sprechen, diese haben den Ritter vom Felsen stürzen sehen, dabei sei ein großer Vogel weggeflogen.
Ob es sich dabei um Gwon, Rabe oder einen weiteren Formwandler gehandelt hat, muß offenbleiben. Die beiden Heliosgeweihten Metabor und Fernvihn Evertun wollen aber Gwon ausschließen, da der Vogel bereits anwesend war, als der Ritter noch im Fallen, also am Leben war.
Kurz darauf ist ein Tagebuch Larions in Umlauf, offenbar im Besitz der Kinder, in das ich kurz Einblick nehmen kann: Er wurde zusammen mit weiteren Ordensrittern von seinem „Patron“ ausgesandt, um die Artefakte zu finden. Man müsse sie (wieder?) sammeln und bewahren, weil sie zu große Macht hätten. Das Tagebuch schreibt er, um sich immer wieder daran zu erinnern, wer er ist und welche Aufgabe er hat. (Er schreibt auf, „um nicht vom Weg abzukommen“. Vielleicht auch für uns ein Hinweis im Umgang mit den Phänomenen des Ödlands?) Larion habe den aktuellen Besitzer des Dolches ausgemacht, einen gewissen Arwaatz. Dieser bewahrt ihn in einem Versteck auf. Larion müsse ihn nun jede Nacht beobachten, um es zu finden und hofft, dass er die Macht des Dolches nicht kennt und einsetzt.
Eines der sechs Kinder, die offenbar verschiedene Begabungen haben, spricht über das Gebein mit Larions Geist: Es sei kein Mord gewesen, er geriet mit Arwaatz in Streit und stürzte den Felsen hinab. Arwaatz werde den Dolch nun zu den Hohepriestern ins Zentrum der Ödlande bringen.
Das Ulsari-Fest endet am Abend mit der Verbrennung von alten Dingen und dem Aussprechen von Wünschen für das neue Jahr.
Wir wissen also nun, dass eines der acht Artefakte ein Dolch ist und dieser sich auf dem Weg in das zentrale Heiligtum der Ödlande befindet. Die Kinder, welche sich „Sechskant“ nennen, erklären sich bereit, uns dorthin zu führen. Die Gruppe um Ritter Gerdhelm dagegen wird zum Jolborn und damit zurück nach Heligonia gebracht werden, ihm gebe ich diesen Bericht mit. Wir anderen ziehen nun weiter in die Ödlande hinein.
Bis auf die Angriffe relativ kleiner, offenbar unabhängiger Gruppen von „Unberechenbaren“ habe ich bis jetzt keine kriegerischen Handlungen erkennen können, auch keine Vorbereitungen zu größeren Zurüstungen. Galten die Ödländer im letzten Krieg noch als bunt bemalte, mit Leder und Fellen bekleidete, Speer schwingende Krieger, so sind die Menschen hier völlig normal gekleidet, es gibt keine auffälligen Tracht-Merkmale. Bei den Unberechenbaren sah ich höchstens Lederschutz, aber keine schweren Rüstungsteile. Insgesamt stellt sich die Gesellschaft etwas komplexer dar als in den alten Kriegsberichten beschrieben. Einen Kriegs-Schamanen oder gar zusätzliche Körperteile oder andere Modifikationen aus Ameryll sah ich bis jetzt nicht.
Ebenso versicherten mir die Ulsari, dass bei ihnen niemand Boote oder gar Schiffe besitzt. Sie zeigten sich sehr überrascht vom Angriff auf dem Jolborn. Entweder geht hier etwas vor, von dem auch die „gewöhnlichen“ Ödländer nichts wissen, oder es sind bisher nur die ersten Auswirkungen einer Veränderung spürbar. Wir vermuten allerdings, dass dieser so mächtige Dolch in den falschen Händen die Krieger der Unberechenbaren und Javare vereinen und wieder gegen unser Reich aufstacheln könnte. Wem eine Kriegsfront im Norden nützt, dürfte klar sein. Ebenso klar ist uns, dass wir diese Hohepriester davon überzeugen müssen, uns beziehungsweise dem Orden des Wahren Wortes den Dolch zu sicheren Aufbewahrung zu überlassen. So wird aus unserer Expedition nun tatsächlich eher eine diplomatische Gesandtschaft – wenn wir glücklich in ihrem Heiligtum ankommen, eine Reise, die wohl mehrere Wochen dauern wird. Sofern es möglich ist, werde ich weitere Nachricht schicken.
Elisabeth Wolkenstein, Kartografin
Neuerdings sind einige böswillige Gerüchte aufgekommen, die mich nötigen, persönlich das Wort an die ehrsamen und fleißigen Bewohner der stolzen Stadt Betis zu richten. Es ist in der Tat richtig, dass die vier Pavesen, die üblicherweise bei den Landungsmissionen der Ostarischen Expeditionsflottille mitgeführt werden, traditionell Betiser Vornamen tragen. So fiel den Matrosen vor geraumer Zeit der formschöne Gleichklang zwischen dem Defensivgerät „Pavese“ und dem allseits bekannten Namen „Corvese“ auf. Da sich die Pavesen schon oftmals als Speerspitze der Lagersicherung bewährt haben, war es somit nur eine Frage der Zeit, bis die stete Verteidigungsbereitschaft und Standhaftigkeit der Betiser Bürger hier in Form von klangvollen Vornamen ihren Niederschlag fand. Zum einen dienen die Namen der vier „Fratelli Pavese“ natürlich der Unterscheidbarkeit der einzelnen Defensivwaffen. Zum anderen soll (im Verbund aller vier) der traditionell starke Familienzusammenhalt in der freien Reichsstadt geehrt werden. Die Benennung der Pavesen ist somit auch ein Ausdruck der langjährigen und gewinnbringenden Zusammenarbeit der Ostarischen und der Betiser Flotte. Nur Personen ohne jeden maritimen Hintergrund und in Unkenntnis Ostarischer Traditionen können hierin einen Akt böswilliger Beleidigung erkennen.
Elisabeth Wolkenstein, Navigatorin der Brassach
Die Admiralität zu Ankur lässt vermelden, dass die 1. Herzöglich-Ostarische Expeditionsflottille weiterhin im Dienste des Ersten Seeherrn, Jareck von Jolberg, steht. Jedoch steht sie fürderhin für die Dauer von zwei Jahren auf Abruf und unter strenger Beobachung. Zu diesem Entschluss kam es nach einer eingehenden Prüfung durch eine Kommission des Amts für Interne und Externe Revision unter der Leitung von Leutnant Damiano von Nigramsfall. Unterstützt wurde er dabei unter anderem von Hilltrud von Forsberg-Nieblschütz von der Zentralabteilung für Personalwesen sowie Gilbert Glitschaal vom Kontrollreferat für Organisatorische und Operative Abläufe.
Die längst überfällige Kontrolle fand ohne vorherige Ankündigung während des laufenden Manövers des Landungsunternehmens am 28. Tag des dritten Poënamond im Jahre 49 n.A.III statt. Die Entscheidung wurde den Offizieren und der Mannschaft noch am selben Tag und im Beisein des Admiral der Ostarischen Kolonialflotte, Hinrich von Harkenberg, verkündet.
Holt euch anspruchsvolle Unterhaltung in die Stube. Von nun an könnt Ihr selbst für die abendliche Zerstreuung sorgen. Das Durchfüttern untalentierter BardInnen, die eh meist ums Gesinde schleichen ist jetzt überflüssig.
Noch heute per Depesche ordern!
Jedes Schattentheater wird individuell und kunstvoll gefertigt. Die Handhabung wird vor Ort fachgerecht vermittelt. Zur Grundausstattung gehört ein Abenteuer des legendären Kapitän Kielholer. Zusätzlich kann das Repertoire mit der ogedischen Mythensaga oder den ceridischen Lebensbilder ergänzt werden. In Arbeit befindet sich das Werk über wahre Verbrechen: „Die glaubhaftesten Lügen vor darianischen Kadis“. Ein Almanach, der für umfassende Unterhaltung während der kalten Saarkamonde sorgt.
Die vielbeachtete Vorführung bei der Novitätenschau zu Lodenburg sorgte für Aufsehen und Anerkennung. Schon bald könnt Ihr stolzer Besitzer dieses einzigartigen Unterhaltungs-Apparatus sein.
Selbstverständlich wurde das Schattentheater vom Herzoglich-Ostarisches Patentamt geprüft und mit der Patentnummer 57A672-ERPO-755 versehen.
Die Zulassung ist dortig bei der Abteilung Patenterteilung, Schustergasse 127c, Zimmer 665 einzusehen. Der Amtsleiter, Amtsdirektor Hilbert von Egelbrech sowie Sachbearbeiter Amtmann Parzifal Schwertfeger-Nadelbinder werden auf Nachfrage Einsicht gewähren.
Vor Nachahmern und minderwertigen Fälschungen wird gewarnt!
On bisch Du ao a daube Sau
An baisa Mo, a wiaschte Frau
Odr no sonscht an Luada
An Mittsommr, da leh mer fei
Ao mol des Bockshorn grode sei:
Heit bisch ao Du an Guada!
Halfnet
„Unfassbar!“ schallt es über den Kai, kurz nachdem das Admiralsschiff den Hafen von Veitsburg verlassen hatte. Völlig außer sich schritt Kapitän Xurlsen Kielholer an Bord der Brassach auf und ab. „Wie kann er nur?!“
Sein erster Offizier versuchte ihn zu beruhigen. „Frau Marinehauptmann hatte die Lage im Griff. Außerdem war Adminal Hinrich …“
„Es war pures Glück, dass der Admiral rechtzeitig zugegen war!“ fiel ihm der Kapitän ins Wort und wandte sich um. „Stellen Sie sich vor, was passiert wäre, wenn er nicht geplant hätte, dem Hauptmanöver beizuwohnen, um sich selbst ein Bild von der Schlagkraft unserer Expeditionsflottille zu machen.“ Schimpfend und fluchend setzte er seine Runde an Deck fort, ohne dass deutliche Worte zu vernehmen waren.
Auf dem Anleger begannen Matrosen und Hafenarbeiter zu tuscheln. Niemand wusste genau, was vorgefallen war. Es war lediglich bekannt, dass das Landungsunternehmen der Expeditionsflottille zum Manöver auf den Marinetruppenübungsplatz Veitsburg-Nord in Garstfeld abgerückt war. Dann tauchte ein Leutnant in Begleitung etlicher Amtspersonen auf, um nach einer kurzen Visite an Bord der Brassach nur mit einer Handvoll Begleiter im Schlepptau wieder zu verschwinden. Die Mehrzahl der Amtspersonen verblieb scheinbar auf der Brassach.
Nur wenige Minuten später legte das Admiralsschiff von Hinrich von Harkenberg in Veitsburg an. Man sah den Kommandant der Ostarischen Kolonialflotte eiligen Schrittes an Bord der Brassach gehen, ohne sich Zeit für die sonst üblichen Sitten und Gebräuche beim Betreten eines Schiffes zu nehmen. Am späten Nachmittag sah man den Admiral, ebenso eiligen Schrittes, von Bord gehen, sein Gesicht schwer in Sorge.
Am Abend kehrte der Admiral wieder zurück. Eine Last schien von ihm abgefallen zu sein. Kapitän Kielholer wechselte einige kurze Worte auf dem Anleger mit ihm, bevor Hinrich von Harkenberg sein Schiff bestieg und den Befehl zum Ablegen gab.
„Was immer es war,“ meinte ein Hafenarbeiter zu seinem Kollegen, „es schien glimpflich ausgegangen zu sein.“
„Du sagst es.“ antwortete er. „Hoffentlich können wir weiterhin auf unsere Expeditionsflottille zählen. Schließlich mehrt sie durch ihre großen Abenteuer das Wohl und Ansehen unseres Herzogtums. Du kennst ja selbst die Lieder, die in den Tavernen über sie gesungen werden.“
„Da sagst Du etwas. Komm, lass uns ein den ‚Goldenen Anker‘ gehen, und ein Glas zu ihren Ehren trinken.“
Aus einem Hoftag in Rebenhain drangen Neuigkeiten an unsere Ohren. Sofort mit Winterende soll der rebenhainer Haufen, der in Stueren steht, durch einen, der den Winter über in Rebenhain war, ausgetauscht werden. Sobald es die Witterung zulässt, soll sich die Truppe auf den Weg machen. Einige Zeit soll zusammen in Stueren verbracht, geübt und auch gefeiert werden, während der Baron von Rebenhain mit den Feldkommandeuren der Allianz Besprechungen abhalten will. Kurz zu Stueren: Dort scheint alles ruhig zu sein, die Stuerener haben sich in das von ihnen sogenannte Kernland zurückgezogen, die Borharcôner in Freiheit sind nun wertvolle Verbündete des drachenhainisch-ostarischen Allianzheeres und decken die nördliche Flanke ab. Alle in der Allianz Verbündeten haben die Stärke ihrer Kräfte in Stueren längst reduziert und die Tätigkeit beschränkt sich hauptsächlich auf Patrouillentätigkeit. Es scheint ruhig. Ich schreibe, es scheint, denn gerade unter den Spähern hat sich ein gewisses Gemunkel über indifferente Vorkommnisse breit gemacht. Leider weiß man darüber nichts Genaues und es scheint auch aktuell nicht so, dass wieder eine heiße Phase des Krieges bevorsteht.
Zurück zum Bericht aus Rebenhain. Nach der Zeit in Stueren wird das abgelöste Kontingent zurück nach Rebenhain marschieren, während der Baron mit seiner engsten Entourage weiter nach Kratorpolitanien reisen wird, um auch dort nach dem Rechten zu sehen. Das Interessanteste von dort scheint übrigens zu sein, dass die Pflasterung der Straße im vergangenen Jahr weitere fünfzehn Schritte vorangegangen ist.
Arnhelm Flinkfeder
für den Heliosboten
Vorspann
Zum letzten Erntedankfest Arán wurde das neue Lehen der tieflandstämmigen Bevölkerung in der Baronie Luchnar offiziell ausgerufen und mit dem Namen Artir benannt.
Die Ausrufung war im Wesentlichen eine innerluchnischen Angelegenheit, da die Luchner diese Wunde zunächst für sich selbst schließen mussten. Den geeigneten Ort fanden die Druidh nahe Kastelmond / Caistlemond, weshalb dort die Feierlichkeiten stattfanden.
Bereits im Zuge der Vorbereitungen wurde aber bereits eine zweite Feier geplant, um sich nach außen zu öffnen und ein auch heligonisches Fest für alle Freunde Luchnars zu feiern.
Diese Feier wurde im 1. Poenamond des folgenden Frühjahrs begangen. Stätte war vor allem der Hauptort des neuen Lehens, Rotmark / Ruadhmora, aber auch andere Teile des Landes wurden einbezogen.
Alle tief- und hochländischen Freunde Luchnars waren willkommen und erfreulicherweise kamen von Sedomee bis aus der Nordmark Gäste und Grußbotschaften.
Die Tage zuvor
Bereits seit Wochen bereitete sich Rotmark / Ruadhmora auf die Feierlichkeiten vor und in den letzten Tagen breitete sich im ganzen Land eine gewisse Spannung und Vorfreude aus.
Einzelne Gäste reisten bereits an. Baronin Jefferindell Karelia von Jolbenstein war bereits seit einigen Tagen auf der Feste Hautzensteyn bei Baron Koldewaiht und die gemeinsamen Kinder der beiden durchstreiften die Umgebung mit alten und neuen Freunden. Die älteste Tochter, Baroness Aurelia studierte die Gästelisten und freute sich darauf, wieder einmal heligonischem Adel zu begegnen.
Unterkunftsstätte dieser Gäste war zumindest für die erste Nacht die Feste, während alle anderen die Wahl hatten, zunächst auf der oder um die Feste unterzukommen oder direkt ins neue Lehen nach Rotmark oder Kastelmond zu reisen. Hier kamen auch schon manche Geladene an, vor allem aus den nördlichen Gebieten Luchnars, aus Flainey und von der recht nah auf dem halben Weg ins Tiefland gelegenen Drachentrutz.
„Mama, Mama, es ist so schön, dass Karelia und der Baron mit ihren Kindern mal ein paar Tage hier sind!“
„Ich glaube, die beiden finden das auch schön.“
„Warum sind die nicht öfter hier?“
„Nun, Karelia von Jolbenstein herrscht – oh Überraschung – über die Baronie Jolbenstein und Koldewaiht ist Baron von Luchnar. Weißt Du doch!“
„Aber sie könnte doch das halbe Jahr hier sein!“
„Und der Baron das halbe Jahr weg? Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Außerdem haben die beiden mit den Jahren ganz gut austariert, wieviel Dosis Koldewaiht oder Karelia der jeweils andere verträgt. Da sollten wir den beiden nicht dreinreden.“
„Was meinst Du damit, Mama?“
„Ich meine: Da solltest Du mir jetzt nicht dreinreden.“
Gwontag: Erste offizielle Ankünfte
Am Gwontag fand auf der Feste Hautzensteyn ein Abendmahl statt für bereits eingetroffene Gäste, die entweder der Familie Hautzensteyn oder der neuen Lehensherrin Eylwine von Kastelmond (einst Esclarmond) und ihrem Gatten Kerstan von Tuachall enger verbunden waren, außerdem für weitere Gesandte heligonischer Lehen. Es war ein informelles Treffen, bei dem noch keine Grußworte überbracht oder Reden gehalten wurden; stattdessen gab es die Gelegenheit zu vielen informellen und persönlichen Gesprächen
Der Abend wurde nicht allzu sehr ausgedehnt, da für den nächsten Tag vor dem offiziellen Bankett einige Ausflüge geplant waren.
„Mama, Mama, wer war beim Essen dieser große Mann, der neben Vyslaine saß, der aussah wie ein Luchna, kenne ich aber nicht.“
„Hast Du von der Empore heimlich gelinst? Wer hat Dich denn da hingelassen?“
„Ich habe Vyslaines Schlüssel ausgeliehen bekommen.“
„Soso. Das war George Bannister MadGlas. Emissär, also Gesandter von Baron Krator von Rebenhain. Kann alles. Ist eben aus Luchnar. Passt aber auch zu Krator. Er ist sozusagen nach Rebenhain ausgewandert; also den umgekehrten Weg gegangen wie die Vorfahren von Freifrau Eylwine und Baron Koldewaiht. Auch das trifft ja ganz gut.“
„Und der neben ihm saß?“
„Rasekorn vom Schinderteich, Vogt von Störenweiler. Ein echter Rebenhainer. Würde vermutlich auch hierher passen. Ist aber sein eigener Geist. Deshalb würde er vielleicht hierher passen, aber nicht hierher wollen. Ach, jetzt wird’s kompliziert.“
Frohntag: Ausflüge
Am Frohntag stand den Gästen noch Zeit zur freien Verfügung. Für Interessierte wurden drei Exkursionen angeboten. Eine führte zur Heilerschule nach Tuachallnioch, wo sowohl hochländische Heilkunst als auch tiefländisches Wissen vermittelt wird. Es gibt eine Zusammenarbeit mit einer ähnlichen Stätte in Buchenfels, weshalb die Heilerschule der einzige Ort Luchnars ist, an dem man regelmäßig auch Ceriden antreffen kann. Zweites mögliches Ziel war die Sternwarte Luchnars in den Hügeln hoch hinter Soilachnioch. Die dritte Option war eine Wanderung von Kastelmond zum Ort der Lehensausrufung am Erntedankfest im vergangenen Herbst.
Für die ersten beiden Varianten musste früh aufgestanden werden. Der überwiegende Teil der Gäste entschied sich jedoch für die Wanderung. An der Stelle der Ausrufung erläuterten eine Druidh und ein Sagai noch einmal Ablauf und Hintergründe der Ausrufung aus Geweihen-Sicht. Anschließend stand den Teilnehmern frei, den relativ langen Rest der Strecke bis Rotmark zu Fuß zurückzulegen oder sich fahren zu lassen.
„Mama, Mama, der Bärtige war gar nicht dabei, als die zur Heilerschule nach Tuachallnioch aufgebrochen sind!“
„Der wohnt ja auch gleich über den Pass nach Tatzelfels Gleich über den Berg, mit einem schnellen Pferd ist das vielleicht eine Stunde oder ein bisschen mehr. Er ist der Grenzvogt, Konrad von Trutzberg. Ist vermutlich direkt von der Trutzburg aus zur Heilerschule und hat dort den Rest der Gruppe getroffen.“
„Und was wollte dieser Südländer mit dem Wickelschal um den Kopf auf der Sternwarte?“
„Kein Schal, ein Turban. Kein Südländer, ein Ehren-Shimshiri der Universität Marola in Sedomee und ja, das ist im Süden. Sternwarte vermutlich (sicher weiß ich das nicht), weil er sich um Kartografie und Landvermessung kümmert – und die Sterne helfen ja auch, Wege und Richtungen zu finden. Das ist Skala ben Immdich vom Sefardi-Clan. Sein Spezialgebiet ist, glaube ich, die Gewichtsmesskunde.“
„Benimm Dich? Das klingt ja lustig!“
„Jetzt hör mal zu. Mama trinkt gerne Or-Ban, ja? Für manchen Tiefländer klingt das wie Ohr-Bann, also total bescheuert. Ist es bescheuert? Nein! Also mach Du Dich auch nicht über andere Namen und Sprachen lustig.“
Frohntag: Bankett
Am Abend des Frohntags fand in Rotmark ein großes Bankett statt. Rotmark war eigentlich viel zu klein für die Zahl der Gäste. Die Lage an den Heideausläufern hatte aber den Aufbau einer riesigen Zeltstadt ermöglicht, die im Halbkreis an Rotmark angeschlossen war. In der Mitte brannte ein großes Feuer.
Zum Glück war es für die Jahreszeit unüblich warm und so konnten die Seitenwände der Zelte zueinander und zum Feuer geöffnet werden, so dass jeder die ganze Feier überblicken und auch zwanglos seinen Platz wechseln konnte.
Freifrau Eylwine von Kastelmond, Baron Koldewaiht von Hautzensteyn und der einzige Hochdruidh, dessen Cairn im neuen Lehen lag, sprachen vor den Beginn des Banketts einige einführende Worte. Eigentliche Reden waren für diesen Tag aber nicht vorgesehen.
Es gab eine Vielzahl an luchnischen Speisen und Getränken und so dauerte bereits der offizielle Teil des Banketts mehr als drei Stunden. Viele feierten anschließend noch tief bis in die Nacht weiter, aber ein Gutteil suchte auch gegen Mitternacht oder früher sein Bett oder Lager auf, denn die Hauptfeierlichkeiten waren ja erst für den nächsten Tag geplant.
Manche der Gäste, die bisher auf der Feste Hautzensteyn oder in Kastelmond untergebracht waren, hatten ihr Gepäck herbeibringen lassen und bezogen eine angemessene Schlafgelegenheit im Haus der Freifrau Eylwine. Andere zogen es vor, sich mit der Kutsche zum bisherigen Domizil zurückbringen zu lassen.
„Mama, Mama, wer war beim Bankett denn dieser stattliche, gerüstete und doch ele…elegate.. Baron glaube ich?“
„Du meinst elegant und du meinst Hektor von Eichenstein. Der ist fast ein Nachbar, auf der anderen Seite des Brazach, Nicht so weit. Du musst nur durch Tatzelfels oder Wolfenfeld durch. Hast seine Qualitäten ganz gut erfasst.“
„Und dieser andere, der so ganz hochgestochjen aussah, mit der Heliossonne?“
„Raphael von Sarmand, Reichsritter – und der ist wirklich richtig offiziell da, im Auftrag des Königs. Es ist schon eine Ehre, dass der König ihn zu diesem Anlass geschickt hat.“
„Und die noch andere, die wie Benimmdich angezogen war, aber vornehmer und von irgendwem Grüße ausgerichtet hat? Dem Baron direkt. Habe ich gehört.“
„Mukhti vom Shamanka Clan, die politische Beraterin der Freigräfin Amira Kaela von Sedomee. Von der stammen auch die Grüße. Auch eine echte Ehre, denn Sedomee ist weit weg!“
„Puh, ist das kompliziert.“
„Du erfasst so manches schon ganz gut. Vielleicht wirst Du mal mein Nachfolger!“
„Bloß nicht!“
Redonstag: Reden
Das Frühstück wurde den Gästen informell und je nach Aufstehzeit bereitet, sollte aber kurz vor der elften Stunde möglichst beendet werden. Zum gegebenen Anlass waren nämlich viele Reden geplant, denn es gab tatsächlich viel zu sagen. Das Wetter hielt und so fanden die Redner ihren Platz vor der Feuerstelle, von wo sie bei geöffneten Zeltbahnen in der ganzen Zeltstadt zu hören waren.
Als erstes redete der Baron des Landes, Koldewaiht von Hautzensteyn. Er schlug den geschichtlichen Bogen zurück zum Dòrchiu, dem Bruderkrieg im Hochland vor bald hundert Jahren, der die Tiefländer letztlich erst nach Luchnar gebracht hatte, schilderte die wechselhafte Geschichte des Clans- und Vogtswesens über die Jahrzehnte und wie das System, das einst den Zwist überwunden hatte, neuen Zwist hervorrief und letztlich in etwas Neues münden musste.
Danach sprachen nacheinander die Clansoberhäupter Gwarra Tekindra MadGlas, Gallory Lland MadRuadh und Flarn Flirhan MadUaine. Sie schilderten in teils sehr persönlichen Worten das Verhältnis der Clans und der Tiefländer zueinander während ihrer Zeit als Ceann und Ceanna Cuath, die jeweils mehr als 20 Jahre umspannte. Gwarra Tekindra brachte es in ihren Schlusssätzen wohl auf den Punkt: Sie konnte die Tieflandstämmigen als Hochlandbewohner annehmen, als sie begriff, dass das Land selbst sie angenommen hatte.
Diese Reden waren in ähnlicher Form bereits an der eigentlichen Ausrufung gehalten worden, enthielten diesmal aber mehr Erläuterungen für die tiefländischen Gäste.
Anders als auf der ersten Feier kamen diesmal aber auch die Vögte oder deren Kinder zu Wort.
Eyllinde von Kastelmond, achtes und jüngstes Kind des berüchtigten Eylhardt von Esclarmond und Schwester der neuen Freifrau Eylwine, schilderte, wie die Aufgabe der Vögte, das Land mit den Clans gemeinsam zu verwalten immer überflüssiger wurde, da die Clans ihre alten Zwistigkeiten längst vergessen hatten und wie die daraus entstehenden Probleme ihre Familie spalteten. Ihr Vater Eylhardt und ihre Brüder Eylbrandt, Eylwald, Eylfred und Eylmar entschieden sich letztlich auf zunehmenden Druck für das Tiefland, Eylwine, sie selbst und ihre Brüder Eylbert und Eylram für das Hochland. Seither seien ihr Freunde aus den Clans und aus Artir neue Geschwister geworden.
Kerstan von Tuachall sprach für seinen nicht anwesenden, hochbetagten Vater Danrrad. Er erzählte, wie er als Kind erzogen wurde, einmal ein Provinzherrscher zu sein, als Jüngling die notwendige Schulung erhielt, eine solide kämpferische Ausbildung und Erfahrung mit den Bedürfnissen von Tief- und Hochländern. Als Baron Koldewaiht dann entschied, dass es das Vogttum nach der Generation seines Vaters nicht mehr geben werde und die Kinder der Vögte die Möglichkeit bekämen, Gesandte Luchnars zu werden, gab Fürst Leomar ihm den Posten des Burgvogts auf seiner Feste Drachentrutz, für den sein Werdegang letztlich ideale Voraussetzungen bot. Er sei damit nun Hochland, Tiefland und der Drachentrutz verbunden und als Ehemann von Eylwine von Kastelmond natürlich besonders dem neuen Lehen Artir.
Gisrod von Soilach sprach als einziger der drei verbliebenen Vögte selbst, allerdings nicht allein, sondern zusammen mit seiner Frau Liolyn MadUaine und der gemeinsamen Tochter Ylvi Dora. Lyolin und er hatten vor fast 50 Jahren gegen den Willen ihrer Eltern geheiratet. Die Ehe war ein Skandal und Liolyn verlor alle Rechte bei ihrem Clan. Erst mit der Geburt Ylvi Doras ein Vierteljahrhundert später war es zu einer Annäherung gekommen und Liolyn wurde wieder und mit ihr ihre Tochter als MadUaine aufgenommen. Gisrod betonte, dass ihm in all diesen Jahren klar geworden sei, was wirklich wichtig sei. Sein Titel als Vogt, den er ja noch immer habe, sei es nicht und ihre Tochter brauche einen solchen Titel auch nicht.
Samuel von Turlach redete für seinen ebenfalls anwesenden Vater Simuniel, der wie Gisrod und anders als Danrrad und Eylhardt seit jeher eher eine ausgleichende Position eingenommen hatte. In eindringlichen Worten breitete es aus, wie der Konflikt trotz seiner friedlichen Eltern ihn und seinen Bruder Lukas aus der Bahn geworfen hatte, ihn aus dem Hochland trieb, wie – ähnlich wie Kerstan – seine vielfältige Ausbildung aber half, erst Schwertführer Drachenhains zu werden und wie er im Stuerenkonflikt letztlich nach Ossiaris kam, wo er eine neue Heimat und seine Frau Ildari fand. Erst hier sei er zur inneren Ruhe gekommen und habe begriffen, dass er gleichzeitig Stadtvogt von Ossiaris, Schwertführer von Drachenhain und Samuel aus Turlach in Luchnar sein könne und wie sehr es ihn freue, dass diese Einheit in Vielfalt nun auch in seiner ersten Heimat offiziell und im Empfinden der Bewohner Wirklichkeit geworden sei.
Nach all diesen Reden von Bewohnern Luchnars gab es eine kurze Pause, in der Getränke gereicht wurden. Ein kleiner Chor von Angehörigen aller drei Clans, Ricarda Roythenbaum aus Rotmark und ein Duo, das Fürst Leomar von der Drachentrutz mitgebracht hatte, trugen jeweils ein Lied vor. Anschließend kamen die Gäste aus dem Tiefland zu Wort.
Es begann Reichsritter Raphael von Sarmand. Er richtete die besten Grüße von König Aximistilius III. aus und versicherte dessen ausdrückliche Billigung und Unterstützung der Gründung des Lehens Artir, einer Einigung, die ganz im Sinne des königlichen Toleranzgebotes sei und erfreulicherweise noch weit darüber hinaus weise.
Prinz Anselm und Prinzessin Celia von Thal überbrachten Grüße ihres Vaters, Fürst Bartha von Thal. Prinz Anselm erinnerte daran, wie der Baronientausch zwischen Thal und Drachenhain (Tatzelfels gegen Güldenthal) einst eine missliche Situation bereinigt hatte. Im Hochland seien solche „einfachen“ Lösungen von oben aber nicht möglich. Umso mehr freue er sich, dass es gelungen sei, eine für alle und das Land verträgliche Lösung zu finden.
Weitere Grußworte aus anderen Grafschaften und Fürstentümern wurden vorgetragen. Mukhti, Beraterin von Freigräfin Amira Kaela von Sedomee verlas ein Schriftstück mit den herzlichsten Glückwünschen der Freigräfin. Aus der Nordmark war eine sehr freundliche Depesche eingetroffen, allerdings ohne Nordmarker Boten, weshalb Vyslaine von Hautzensteyn, die Schwester des Barons sie rezitierte. Am kürzesten hielt sich Tallrim Stabschwinger, der Abgesandte aus Angaheym. Er hon sein Horn und donnerte über die Menge: „Aufs Land!“
Eine ausführlichere Rede hielt dann wieder Fürst Leomar von Drachenhain, der Lehensherr Luchnars und letztlich Artirs. Auch er malte ein sehr persönliches Bild von seiner Jugend auf der Drachentrutz an der Grenze von Hoch- und Tiefland, vom eigenen Familienkonflikt mit seinem Vater und wie dessen Starrsinn Drachenhain in einen Krieg geführt hatte, in dem sich Luchnar, statt zu taktieren, unmittelbar aufgelehnt und einen hohen Blutzoll gezahlt habe, der Hochland- wie Tieflandstämmige betraf. Der König selbst adelte damals die Aufständischen als Streiter für das Recht und in Drachenhain sei neuer Frieden entstanden. Umso mehr begeistere es ihn, dass Luchnar nach seinem Beitrag zur Einheit des Fürstentums auch seinen eigenen Frieden gefunden habe.
Endgültig den Bogen zurück ins Hochland schlugen dann dessen andere Herrscher. Foranan McDonough, der Baron von Flaitney erzählte, wie sein Vater mit der Idee eines tieflandstämmigen Barons trotz durchaus guter Zusammenarbeit noch gefremdelt habe, er selbst und Koldewaiht als Jahrgangsgenossen aber völlig selbstverständlich miteinander aufgewachsen seien. Caileen McGodfrey, die Baronin von Gaeltacht betonte, wie sie nach ihrer doch eher plötzlichen Ernennung zur Baronin sofort und dauerhaft um den Rückhalt von Luchnar und Flaitney gewusst habe.
Zuletzt sprach Eylwine von Esclarmond, die neue Freifrau und Ceart Caraid. Die bittere Vorgeschichte von Teilen ihrer Familie mit den Clans hatte bereits ihre Schwester Eyllinde ausgebreitet und so konzentrierte sie sich in ihren Worten auf ihre Liebe zu dieser Gegend und wie das Lehen in den letzten Jahren mit Hilfe vieler aufgebaut worden war. Sie schloss mit den Worten: „Auf Artir!“
Dieser Abschnitt des Programms war lang gewesen und deshalb bewusst früh eingebaut worden, um die Aufmerksamkeit der Gäste nicht zu sehr zu strapazieren. Nachdem (fast) alle Eylwine „Auf Artir!“ geantwortet hatten, was es höchste Zeit, sich ein wenig die Beine zu vertreten.
„Mama, Mama, die haben vielleicht viel geredet!“
„Naja, das Thema geht letztlich doch viele an, in Luchnar selbst, unsere Nachbarn, die Lehensherrn des Barons… da kommt schon einiges zusammen!“
„Wenigstens kannte ich einige, wie die Junker und Samuel von Turlach! Aber seine Frau kannte ich nicht!“
„Zu einem solchen Anlass immer noch Vögte, nicht Junker. Ja, ich bin sehr froh, dass Samuel gekommen ist und sogar seine Frau Ildari von Ossiaris, die Tochterherrin von Ossiaris und ihren Sohn Andaryn mitgebracht hat. Samuel verkörpert wie wenige den Hochland-Tiefland-Konflikt in Luchnar und kennt es als Drachenhainer Schwertführer und Stadtvogt von Ossiaris noch weit darüber hinaus, zugleich heimisch und fremd zu sein und seine eigenen Brücken zu bauen. Gut, dass er auch reden durfte!“
„Und Fürst Leomar kannte ich auch. Und der hat auch seine Frau und sein Kind mitgebracht! Und er hat ziemlich viel von früher geredet…“
„Sein etwas größeres Kind, ja, Prinzessin Lenia. Ich denke, er hat viel von früher geredet, weil einerseits der jetzt überwundene Konflikt seinen Ursprung vor langer Zeit hat und er andererseits den Baron schon ganz, ganz lange kennt, ich glaube länger als aller anderen Nicht-Hochländer hier, als er noch Leomar von Tatzelfels war, seine Frau Leabell von Ardelun aus Tlamana und ich ein Kind… Untereinander duzen sie sich, wenn sie alleine sind, wie Luchner. Ich glaube, da ist ganz viel Vertrauen dabei und das ist wichtig. Politik kann schwierig sein.“
„Zum Glück gibt’s sowas im Hochland nicht, oder?“
„Hm.“
Redonstag: Essenszeit
Die Reden hatten doch einen guten Teil des späten Vormittags und der Mittagszeit eingenommen, so dass nach etwas Bewegung mancher froh war, sich einfach wieder an einen Esstisch zu setzen. Das Wetter war unverändert schön, so dass die Zelte weiter offenstanden und noch kein Feuer entzündet werden musste. Das Mittagsmahl war reichhaltig, aber eher einfach gehalten. Um den Gästen dennoch etwas Besonderes zu bieten, wurden sämtliche Varianten an luchnischen Kräuter- und Früchtetees gereicht, darunter mancher, den kaum einer der anwesenden Tiefländer je verkostet hatte. Einige ließen sich bereits wieder gehaltvollere Getränke reichen, andere nutzen die Zeit, um sich kurz für ein Nickerchen zurückzuziehen, bevor der nächste Programmpunkt anstand.
„Mama, Mama, die beiden da, die noch an der Tafel sitzen geblieben sind, die sind ganz hochgestellt, oder?“
„Das stimmt, es sind Prinz Anselm und Prinzessin Celia von Thal, die Kinder von Fürst Bartha von Thal. Aber das weiß Du doch – Du warst bei ihrer gemeinsamen Ankunft dabei und vorher hat der Prinz erst das Grußwort des Fürsten verlesen…“
„Ach es wurde so viel geredet…“
„Ja, aber hier einmal zu Recht. Die beiden sind auch schon sehr lange mit der Familie Hautzensteyn bekannt und schätzen einerseits das Hochland, haben andererseits aber auch ähnliche Interessen wie der Baron, zum Beispiel für Geschichten und Gedichte. Und ich glaube, sie finden es gar nicht so schlecht, dass man ihren Rang zwar auch hier kennt und respektiert, aber alles etwas zwangloser zugeht als zu mancher anderen Gelegenheit. Vermutlich ist das eine willkommene Entspannung.“
„Schau mal, da drüben geht es aber gar nicht entspannt zu! Ich glaube, der eine hat gerade jemanden schlimm beleidigt, also der andere sieht ganz beleidigt aus.. aber er sagt gar nichts, geht nur weg, und der eine lächelt so komisch… was ist da los?“
„Der andere, er schickt sich drein – obzwar das Herz in Hitze – und Giselher, der lächelt fein – das macht die rechte Spitze!“
„Was?“
„Nichts… das ist der Kanzler des Fürsten, Giselher von Mühlenheim und sein Lächeln ist eher maliziös… aber er ist Fürst Leomar offenbar sehr nützlich.“
„Und das Gedicht?“
„Das ist viel länger und bezieht sich eigentlich auf Vogt Rasekorn… die beiden sind ganz unterschiedlich, aber haben wohl doch einige vergleichbare Züge… egal. Der Kanzler wird dir nicht tun, aber geh ihm besser aus dem Weg.“
Redonstag: Anrufung und Segen
Die Gesellschaft wurde, soweit erforderlich wieder zusammengerufen, diesmal von den Druidh und Sagai des Landes, also einerseits den Geweihten, die sich um das Hochland selbst und seine Verbindungen zur Anderswelt kümmern, andererseits den auch im Tiefland bekannten Geweihten der vier Götter. Sie führten die Gäste in die Nähe eines Cairns, einer Verbindung zur Anderswelt. Der weitere Ablauf war denjenigen, die bereits an der ersten Feier teilgenommen hatten, im Wesentlichen bekannt. Der dem Cairn zugehörige Druidh rief zunächst das Land an. Dann sprach er einen Segen über den Ort, dann die anderen Druidh und Sagai über das Lehen, Luchnar, das Hochland, Drachenhain und ganz Heligonia. Den Segensspruch für das Hochland sprach zur Überraschung mancher Foranan McDonough, der Baron von Flaitney, von Rotmark nur zwei Wegstunden entfernt. Die Segen für Drachenhain und Heligonia wurden von tiefländischen Gästen gesprochen Schließlich wurden gute Botschaften zu den Sternen und mit Behutsamkeit in die Anderswelt gesandt. Zuletzt trat Eylwine von Kastelmond, die neue Ceart Caraid vor und sprach wie im Herbst, nur diesmal auf heligonisch den Satz: „Und so rufe ich Dich, unser Land und Teil unseres Landes, bei Deinem neuen Namen: Artir!“ Viermal rief sie den Namen und viermal wiederholte ihn die Menge.
Ein leichter Wind kam auf, strich über das Feld und legte sich dann wieder. Druidh und Sagai, die kniend das Haupt geneigt hatten, erhoben sich, lösten die zum Land gewobene Verbindung und führten alle wieder zurück nach Rotmark.
„Mama, Mama, wieso hat Baron Foranan bei der Götterandacht geredet… das waren doch nur Geweihte?
„Hast Du seinen Stab nicht gesehen? Foranan McDonough ist nicht nur Baron von Flaitney, sondern auch Xurl-Geweihter. Eine sehr glückliche Verbindung, das ist gut für das Hochland und zeigt, dass die Götter über uns wachen. Und natürlich auch ein ganz alter Freund von uns.“
„Und die Frau, die jetzt neben ihm läuft?“
„Roxana von Beraht, Baronin von Welzen. Sie ist dem Hochland auch schon sehr lange freundschaftlich verbunden. Ein weiterer lebender Beweis dafür, dass das Land die aufrechten Tiefländer gerne annimmt. Und andere sind heute nicht hier.“
„Aber der Mühlenherr…“
„Ohne jemand Bestimmtes zu meinen…vielleicht fast keine.“
Redonstag: Feier
Die Festgesellschaft wanderte den kurzen Weg nach Rotmark zurück. Die Feuerstelle, um die die Zeltstadt stand, war neu mit Holz beschichtet worden und es loderten bereits helle Flammen. Eylwine von Kastelmond hielt eine weitere Rede mit dem Versprechen, dies sei nun wirklich die letzte. Sie kündigte an, dass nach einer Verschnaufpause, in der jeder ausruhen oder sich richten könne, der späte Nachmittag nun auf dem Weg in eine weitere Feier sei. Für diese gäbe es keine Zeitpläne, keine offiziellen Ansprachen und eigentlich überhaupt keine Regeln außer der einen, dass der Abend wie die ganzen Feierlichkeiten im Sinne von Versöhnung und Frieden stehen sollten. Ansonsten möge jeder eine fröhliche Zeit nach seiner Art und seinen Wünschen verbringen. Der Applaus war größer als bei allen Reden davor.
Es wurde wieder eine Vielzahl verschiedener Speisen herbeigebracht und auf große Tische gestellt, dazu Fässer und Schläuche, Krüge, Karaffen und Flaschen mit Getränken aller Art. Auf einer Tafel lagen Ballen mit dem verbliebenen Rest der Jahresernte an Eithill, dem seltenen und kostbaren luchnischen Pfeifentabak. Jeder durfte sich frei bedienen, es gab weder eine Reihenfolge der Speisen noch eine Sitzordnung. Nur im Zelt der Adligen wurde aufgetragen, aber auch von dort begaben sich im Lauf des Abends immer mehr Gäste unter den Rest der Feiernden, ans Feuer, zu den Musikanten, die nach Lust und Laune hier und da sangen und spielten oder auch nicht. So glitt der Abend in die Nacht und die Feiernden wurde weniger. Doch selbst als der Morgen graute, weigerte sich ein Tisch besonders Standhafter immer noch, die Feier zu beenden.
„Mama, Mama, die Frauen da reden ganz komische Dinge… Rambazamba, Klimbim, Kumpania, Polia, Münzia, Liebestrankia…und eine hat einen Kater dabei… kommen die auch aus Sedomee?“
„Soweit ich weiß, ja, an der Grenze zu Darian… ich bin mir nicht ganz sicher…es sind jedenfalls Srenghewar, Dhrabani Nadyma und Dalilah und ich glaube, sie wollen hier Feier und Geschäft verbinden…ist ja auch in Ordnung…“
„Warum sind denn so viele von da ganz weit weg hier? Die sind doch ganz anders als wir!“
„Naja einerseits schon – andererseits gibt es auch Gemeinsamkeiten… der Drang nach Freiheit, der Wille, das Leben auch zu genießen, das macht fast alle Unterschiede unwichtig. Und außerdem wissen die Leute aus Darian und Sedomee sehr genau, was ein Konflikt zwischen Geschwistern bedeutet.“
„Oh Mama, das ist unheimlich – Du weißt wirklich alles!“
„Zum Glück nicht. Aber die Gäste hier zu kennen, das gehört zu meinem Beruf, Sohn. Du kannst einer Frau nicht verübeln, dass sie in ihrem Beruf arbeitet.
Oh warte, da hinten steht Tallrim Stabschwinger mit ein paar seiner Angaheymer Jungs und Mädels!“
„Die Angaheymer sind auch Hochländer, stimmts?“
„Natürlich – manche nennen sie die ursprünglichsten Hochländer – aber letztlich ist das kein Wettbewerb. Anders als bei uns oder in Flaitney oder Gaeltacht kann man da nur ein- aber nicht durchreisen, weshalb nur Leute dort hinkommen, die auch dorthin wollen. Und dürfen. Tallrim ist auch ein ganz alter Freund… auch in schwierigen Zeiten… und ich glaube, er macht sich gerade an einem ganz alten Fässchen zu schaffen… der Baron ist auch schon da… ich denke, wir müssen jetzt da mal rüberschauen.“
„Gibt`s da was zu trinken?“
„Für Dich nicht, Sohn. Für Mama schon!“
Heliostag: Ausklang
Während die letzten Übernächtigten noch ihre Körper auf ein Lager schleppten oder den Kopf einfach auf den Tisch sinken ließen, hatten die ersten Gäste ihr Gepäck schon gerichtet. Nach und verließen Kutschen, Reiter und einige Karren Rotmark und schließlich das Hochland. Vor allem Luchner und einige Flaitneyer Gäste machten sich auch zu Fuß auf den Heimweg.
Manche Gäste hatten sich aber bereits zuvor oder auch spontan entschieden, noch einige Tage zu bleiben, um andere Ecken Luchnars zu entdecken oder mehr Zeit mit lange nicht gesehenen Freunden zu verbringen.
Essensreste und Geschirr waren noch in der Nacht oder am nächsten Tag abgeräumt worden, mit dem Rest der Zeltstadt ließen sich die Luchner aber Zeit. Das Wetter hielt und so konnte man noch manchen Tag Rotmarker mit letzten verbliebenen Besuchern in den nun sehr geräumigen Zelten lümmeln sehen, wie sie miteinander redeten und die haltbaren Übrigbleibsel der Festmahlzeiten vertilgten.
Das Land kam wieder zur Ruhe – zu einer Ruhe, die gerne durch Feste, aber nicht mehr durch Zwiste im Hochland oder mit dem Tiefland durchbrochen werden möge!
„Mama, Mama, diese Gelehrte ist mit unserer Sagai, den Leitern der Heilerschule und Liolyn MadGlas in die Berge abgehauen!“
„Was?“
„Ich hab sie gesehen, heute früh, die aus… Escalada?“
„Du meinst Apia von Lauterstein, von der Akademica Botanica in Escandra? Die wird mit den anderen auf Kräutersuche gehen. Sie hat mir schon vor drei Tagen erzählt, dass sie die Pflanzen des Hochenlandes eigentlich am meisten interessieren.“
„Wolfsfurz?“
„Na, das ist ja eher ein Küchenkraut… Vielleicht GorMos, also Koboldmoos? Eithil? Gwarskibor? Wer weiß? Das ist jetzt eher nicht mein Beruf.“
„Nein. Dein Beruf ist schreiben!“
„Auch…“
„Schreibst Du jetzt dem Baron seinen Text? Und für den Heliosboten?“
“Nein. Mein Beruf ist heute Kopfweh. Heute schreibe ich gar nichts mehr.“
Nachwort
Wie nach dem Fest zur Ausrufung des Lehens Artir möchte ich mir wieder einige Anmerkungen erlauben. Zur langen Dauer bis zur Lehensausrufung und warum sie sinnvoll war, habe ich im letzten Text genug geschrieben. Diesmal geht es mir um den Ansatz der Feier selbst; zunächst aber um die Herangehensweise an diesen Botenartikel.
Es handelte sich um eine Feier zum gleichen Thema wie die erste, es wurden zum Teil die fast gleichen Reden gehalten, es wurden die fast die gleichen Speisen und Tränke gereicht mir nur wenig Anpassung an tiefländischen Gepflogenheiten und auch an kulturellen Freuden können wir Gästen kaum anderes bieten als uns selbst. Ein Hauptunterschied war die Sprache. Die erste Feier fand weitgehend auf Luchnisch, die zweite weitgehend auf Heligonisch statt. Dies lässt sich in einem Artikel im Heliosboten aber kaum abbilden, außer dass mich ich in diesem zweiten Text bei Ortsnamen und Spezialbezeichnungen weitgehend auf die heligonischen Begriffe beschränkt habe.
Deshalb habe ich versucht, den zweiten Hauptunterschied, der letztlich den ersten bedingte, nämliche die vielen Gäste aus dem Tiefland anders herauszuarbeiten. Mein Sohn hat mir ständig Fragen zu diesen Gästen gestellt, die ich zu den Zwischentexten verarbeitet habe. Ich habe dabei etwas pointiert, gerafft, umgestellt und aus dem Luchnischen übersetzt, aber nichts erfunden. Das Hauptaugenmerk sollte sein: Dies war eine luchnische und gesamtheligonische Feier.
Diese gesamtheligonische Feier steht gleich der ersten für das neue Lehen und die Aussöhnung der luchnischen Hoch- und Tiefländer. Sie weist aber darüber hinaus auf die Aussöhnung zwischen Hoch- und Tiefland insgesamt, die schon unter Graf Halmar ihren Anfang nahm und nach gefährlichen Zeiten unter Fürst Leomar gefestigt wurde. Sie steht für Freundschaften, die über Drachenhain hinaus in und mit ganz Heligonia entstanden sind – Verbindungen, die weitere Konflikte für Luchnar, Hochland, Drachenhain, Heligonia verhindern können. Auch wenn es nur am Rande zur Sprache kam, hoffe ich natürlich, dass ein Funke dieses Ansatzes sogar über Heligonia hinaus strahlen kann, ohne dass ich damit unsere letztlich doch regionale Versöhnungsfeier überfrachten will.
Um den Bogen zurück nach Artir zu schlagen: Diese Versöhnung gilt natürlich auch nach innen, nach ganz innen. Die Feier steht auch für den sorgsamen Umgang und anhaltenden Frieden mit dem Land selbst und seiner anderen Seite – Somniare, der Anderswelt. Ohne die immer wieder neue Versöhnung mit der Anderswelt hätte Artir auch nicht entstehen können.
Letztlich möge man mir verzeihen, wenn dieser Artikel sehr lang geworden ist. Aber er steht für ein Kapitel der Geschichte Luchnars, das vor hundert Jahren mit dem Dòrchiu begann und vor allem für ein konfliktreiches Unterkapitel, das sich seit meiner Kindheit immer mehr zuspitzte und das jetzt ein gutes und hoffentlich bleibendes Ende gefunden hat.
Auf Artir!
Kiondre MadRuadh
Schreiberin der Feste Hautzensteyn, von Baron Koldewaiht von Hautzensteyn und hoffentlich ein kleines bisschen auch für das Land
Zum Schluss no an Tritt, liebevoll en da Arsch
des gabsch du uns mit so manches Jahr.
Dann war mer geerdet nach all dem Geschreibsel.
Halfnet schlupf in dei Stiefel nei Ärschle gäbs grad gnuag.
Ein Bewunderer
Die bekannte Künstlerin Subra Ymeda hat sich für dieses Jahr eine besondere Attraktion einfallen lassen.
„Das tristen Grau dieser Jahreszeit, das kalte Wetter und die langen dunklen Nächte nagen an der Seele der Menschen. Viele verkriechen sich in ihren Häusern und haben kaum Kontakt zu anderen Menschen, als ihrer engsten Familie und Nachbarn. Dem möchte ich mit Licht, Freude und Geselligkeit entgegenwirken“, sagte Ymeda. Sie selbst ist dafür ein leuchtendes Vorbild und trägt über ihren Elchslederstiefeln warme Wollüberzieher in hellem weiß mit eingewebten, roten geometrischen Mustern. Der in verschiedenen Tannen-Grüntönen changierende Rock wird mit dazu passendem Oberteil und Pullover ergänzt, der eingewebte Muster von Schneeflocken, Thaler Elchen und Eiszapfen zeigt. Ein dicker Schal in warmen Orangefarben zog während unseres Gespräches die Blicke der Passanten auf sich.
„Der Winter hat auch seine schönen Seiten“, erklärt die Künstlerin. „Man muss sie nur suchen. Deswegen haben wir auf dem Jaruner Marktplatz dieses Jahr das Eisfest ganz besonders gestaltet. Es gibt heiße Getränke und Waffeln. Einige Wirtshäuser haben Buden aufgestellt, die von mir individuell gestaltet wurden. Die Thaler Zimmerleute sind unter meiner Anleitung in ihrer Schnitzkunst über sich hinausgewachsen. So sind die Verzierungen in Anlehnung an die Figurensprache der Vjoshavener geschaffen worden. Bunte Tiergestalten wechseln mit Knoten und Verschlingungen in allen Formen ab. Natürlich haben wir sie etwas freundlicher gestaltet, als die Originale. Wir wollen die Menschen ja einladen und nicht verschrecken. Es gibt eine Eisbahn, die um den ganzen Markt führt und so für ausreichend Bewegung und Wärme sorgt. Nach Einbruch der Dunkelheit erleuchten wir den Platz mit Fackeln. Die Menschen sollen sich wohlfühlen und für ein paar Stunden die Härte des Winters vergessenen. Es freut mich besonders, dass es mir gelungen ist, den Prinz selbst als Schirmherrn des Eisfestes zu gewinnen. Die Eröffnungsfeier mit Feuerjonglage und Akrobaten war einzigartig. Ich wünsche allen Besuchern des Jaruner Eisfestes ein unvergessliches Erlebnis und einen baldigen Frühling.“
Das Gespräch führte Ritinus Federschwinger für den Heliosboten.
Die Märkte des Landes waren seit jeher die beliebtesten Plätze, um über die Geschehnisse aus Nah und Fern auf dem Laufenden zu bleiben. Barden und Bänkelsänger geben dort allzu gern ihre Neuigkeiten in Form von Liedern und Geschichten zum Besten.
In den letzten Monden nahm ein Thema in den Dichtungen und Erzählungen einen auffällig großen Raum ein: das Verhältnis zwischen dem Fürstentum Thal und dem südlichste Teil des heligonischen Festlandes, der Grafschaft Sedomee.
Die „Moritat der Gebrüder Schindelgruber“ ist derzeit die beliebteste dieser Geschichten. Sie erzählt von jungen Thaler Holzhändlern, die sich einer Sedomeesischen Karawane anschlossen und auf ihren gemeinsamen Reisen allerlei Abenteuer erlebten.
Doch was steckt hinter dieser kurzweiligen Lyrik? Was ist der Kern dieses neuen Miteinanders? Nahezu der gesamte Thaler Adel bestätigt, in Sedomee einen Freund an seiner Seite zu haben.
Unter den Besuchern der Märkte mischt sich allerdings zunehmend Unbehagen. Droht dem Fürstentum eine Gefahr, die das Volk noch nicht kennt? Warum ist die Freundschaft zu Sedomee plötzlich so wichtig? Vor allem Fürst Bartha ist permanent bemüht, dahingehende Sorgen zu zerstreuen oder sogar wegzuwischen. Konkrete Gefahren für das Land sehe er nicht, ließ er jüngst verlautbaren.
Mögen die Götter unsere Gebete erhören und weiterhin ihren Segen über unser Land ausbreiten.
für den Thaler Hofchronist
Adebard Kornvogel
In den Gebieten der Baronie Beraht ist vor allem der Glaube an die Existenz von Kobolden stark vertreten. So sagt eine alte Verhaltensregel: “Klopfe jedes Mal wenn du eine Tür oder ein Fenster öffnest an den Holzrahmen, auf daß kein Geist oder Kobold durch die Öffnung in dein Haus schlüpfen kann.”
Die Menschen erzählen sich, Kobolde hausen in den Tiefen der Dunklen Wälder, vor allem in alten, verlassenen Ruinen. Manche der Kobolde helfen angeblich Saarka beim Verbreiten von Frost und Hagel. Vor allem die harten Saarke-Monde des Jahres 29 n.A.III, die den Anfang des dreijährigen Mantidenkrieges markieren, sahen manche als Beweis an, das Kobolde existieren und die Göttin des Frostes mit ihnen zusammenarbeitet.
Seit Ansgar von Beraht als neuer Baron eingesetzt wurde und er die Weihen der Saarka erhalten hat, ist es ruhiger geworden. Die Winter-Monde sind milde ausgefallen und der alte Glaube an die Kobolde wieder aus dem Alltag der Bevölkerung verschwunden. Einzig an kalten Abenden am Kamin erzählt man sich vielerorts immer noch noch Geschichten über die vermeintlichen Fabelwesen.
Dieser Tage munkelt man allerdings über eine Warnung der Kobolde, die angeblich an den Hof von Fahlberg gerichtet sein soll. Bei einem öffentlichen Auftritt auf dem Marktplatz ebendort versuchte der Baron von Beraht das Gerücht zu zerstreuen, was ihm aber nicht gut gelang. Sollte es tatsächlich wahr sein, dass die als mystische Kinderfantasie abgetanen Alben wirklich existieren? Und sollte es darüber hinaus ebenso wahr sein, dass sie eine Botschaft an die Menschen der Baronie gerichtet haben? Und wenn das alles wahr sein sollte: was hat der Baron von Beraht zu verheimlichen?
Mögen die Götter unsere Gebete erhören und Schaden von unserem Land abwenden.
für den Thaler Hofchronist
Adebard Kornvogel
“Aogmoltr Scheiß isch älleweil no Scheiß“ – Angemalter Kot ist immer noch Kot.
(Brazfurter Sprichwort)
Heute wird der verehrte Landesherr zu seinen Untertanen sprechen, so wie er es all die Jahre seiner glorreichen Regentschaft getan hat. Schon viel zu lange mussten die Kinder der schönsten Stadt auf die süßen Worte ihres geliebten Grafen warten. Umso größer war ist die Menschenmenge, die sich unter dem Balkon vor dem Palast drängte. Jede Frau und jeder Mann versuchte noch einen Platz zu ergattern, um der gräflichen Rede zu lauschen.
Endlich ist der große Moment gekommen. Just als Helios seine letzten Strahlen über den Horizont ergießt, erscheint Graf Dedekien auf dem Balkon, was augenblicklichen einen Sturm der Begeisterung auslöste. Doch ebenso schnell wie der Jubel ertönte, verstummte er auch wieder. Der ansonsten prächtig bunt gekleidete Herrscher war gänzlich in Schwarz gehüllt – der Graf trägt Trauer!
In das laute Schweigen hinein, sprach er mit gedämpfter Stimme: „Mein geliebtes Volk! Wir haben einen schmerzlichen Verlust zu beklagen.“
Graf Dedekien wandte sich kurz ab, damit ein Diener mit einem Seidentuch eine Träne trocknen konnte, die über die gräfliche Wange floss.
Er hob erneut an: „Die gräflichen Kupferbingen im Schlangenkamm sind Unser ganzer Stolz. Bewegen Wir im Geiste unser Auge von dort nach Utras Dar, dann erblicken Wir das einstmals unbedeutende Minenarbeiterhaus. Nun ist jene Taverne „ Zum Schluckloch“ ein Ort der Begegnung und des blühenden Handels geworden. Doch hat sich diese Heimstatt des friedlichen Austausches zum Schauplatz eines erschütternden Unglücks gewandelt. Dutzende tapferer Frauen und Männer sind dort in den Bingen unter Schutt und Geröll begraben worden.“
Die Menge schluchzte bei diesen Worten wie aus einem Munde. Noch bevor ein lautes Wehklagen einsetzen konnte, erhob der Graf seine Stimme erneut: „ Ihr fragt Euch, wie kann dies geschehen? War es ein Unfall? Der Wille der Götter? Oder gar Sabotage?
Letzteres wollen Wir nun genauer untersuchen. Neid und Missgunst begleiten Uns seit jenen Tagen, da Wir Unser schönes Land wieder zu großem Ruhm verholfen haben. Glauben Unsere Widersacher, dass Wir von Unserem Vorhaben Darian wieder groß zu machen, abzuhalten sind?“ Graf Dedekiens Stimme wurde immer lauter und eindringlicher: „Wo waren die königlichen Schergen, die immerfort den Schlangenkamm durchstreifen, um Unseren braven Kaufleuten das Handwerk zu erschweren? Wie konnten grausame Verbrecher den sonst so wachsamen Augen der königlichen Obrigkeit entgehen? Hat das Alter die Sehkraft des Königs getrübt? Zeigen Wir es dem Greis auf dem Thron in Escandra! Nehmen Wir Unsere Verteidigung selbst in die Hand! Wir haben die Schuldtürme geöffnet, damit die Insassen ihren Dienst im Schlangenkamm verrichten können. Sie werden die Wachen, Soldaten, Büttel und Ordnungshüter dabei unterstützen Unsere wohlschaffenden Händler zu behüten. Jede Frau und jeder Mann, der Teil dieser heldenhaften Aufgabe sein möchte, ist herzlich willkommen.“
Die rasende Menge tobte, der Jubel schwoll zu einem Donnerbrausen an bevor sie sich in die zahlreichen Schänken der Stadt zerstreute. In den Tavernen flossen reichlich Freigetränke
und es wurden tausende Heuerverträge unterschrieben.
Es wurde getrunken und geweint bis in die Morgenstunden, so dass die Omus Mühe hatten, die zornigen Worte des mächtigen Herrschers in alle Winkel des Reiches zu rufen.
Eure Großzügigkeit Graf Dedekien versorgte nicht nur die Hinterbliebenen des Unglücks, sondern ersann ein Klagelied, das fortan von den Barden im Reich vorgetragen wird.
Wir gingen in den tiefen Schacht
Ein in des Todes lichte Nacht
Jetzt ruhen wir im ewigen Schlaf
Still, ohne Schrei und Schrecken.
Wir sind wohl wie ein Haufen, der
beherzt am Feind geblieben.
Nun sorgt der Graf für unsre Lieben!
Wir haben unser Leben lang
mit Stöhnen, Fluchen und Gesang
die Stollen vorgetrieben.
Und wie dem Bauern seine Flur
Dem Schäfer seine Weide,
So lieb war uns der tiefe Schacht
Wer tat uns dies zuleide!
Unser Leben still verrinnt wie Quellenlauf im Sande.
Möge Gwon uns finden!
Seid frischen Muts und frohem Herzen.
Ihr heliosbeschienenes Volk.
Kühn trotzend den Gefahren.
Doch klopft der Kobold tief im Schacht
Dann habe acht!
Was sich schickt:
• Hochzeiten im Freundeskreis
• Crelldinorschuppen am Nachthimmel
• Männer in Strumpfhosen
• Reisen ins Ödland Kernland
• Schattentheater aus Dunkelstein
Und was nicht:
• Unterirdische Akademien
• Crelldinorschuppen im Vorgarten
• Brökhelfieber
• Reisen nach Zorkhan
Trotz der Kälte hat sich in Betis seit einigen Wochen die Hosenmode bei den männlichen Bürgern zu immer engeren Hosen entwickelt. Da Seide in den Saarkamonden eher selten getragen wird, greift die Betiser Avantgarde auf handgestrickte Strumpfhosen zurück. Farblich haben sich kalte Pastelltöne in Blau, Türkis und Lavendel durchgesetzt. Der neueste Schrei sind vertikal gestreifte Hosen, die ein wenig an darianische oder vjoshavener Beinkleidung erinnern.
Tageskurse
Aurazith | 1 heligonische Unze | 3 Dukaten |
Brennholz | 1 m3 | 15 Groschen |
Seidenstoff | 1 m2 | 2 Dukaten |
gefärbte Schafwolle | 500 g | 7 Groschen |
gefärbte Alpakawolle | 500 g | 1 Dukaten |
gefärbte Buraiwolle | 500 g | 1 Kreuzer |
Das Brennholz ist auch dieses Jahr wieder teurer geworden. Importe aus anderen Ländern bleiben schwierig. Der Wert von Seidenstoff schwankt stark, wohingegen der Preis für gefärbte Wolle kaum zu bremsen ist, abgesehen von Buraiwolle – was wohl am beissenden Aroma liegt.
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Berichte von Lea Baltner, Arnulf Breuer, Henning Frank, Oliver Friese, Steffen Heiss, Daniela Lochner, Johanna Prietz, Max Schäfer, Inés und Marc Hermann