In der Seefahrerschenke „Zum Fischmaul“ saßen bei Bier und Ischgi, die Fischerinnen und Fischer des Ortes beisammen, denn der Wirt war früher selbst ein Seebär gewesen. Nach den vielen Gesprächen mit welchen Knoten sich das beste Fischernetz knüpfen lässt, welches Boot bei hoher See am ruhigsten im Wasser liegt und wo gerade die besten Fischschwärme zu finden sind, kommt das Gespräch fast jeden Abend zum selben Thema. Wenn der ewige Kreislauf von Krugfüllen und leeren oft genug durchlaufen wurde, die Gesichtsfarben röter werden und die Stimmen lauter, dann schlägt die Stunde des Anglerlateins. Dann hängen die jungen Fischer an den Lippen der alten und hören, welche Kaventsmänner schon aus der See gezogen wurden. Die meisten Geschichten waren schon oft erzählt worden, doch wie die Kinder konnten die jungen Fischer sie nicht oft genug hören. An diesem Abend setzte sich auch der Wirt zu der Runde.
Wie so häufig begann der ungeduldige Sven mit seiner Geschichte. „Drei Tage jagte ich den Schwarm. Und als ich das Netz raufholte, war es so schwer, dass Fäden rissen und die kleinen Fische wieder ins Meer zurückfielen. Nur einige große blieben im Netz. Von dem Fang konnten wir einen Monat leben.“
Der schmale Björn nahm einen tiefen Schluck aus seinem Humpen und wischte sich den Schaum von seinem dichten Bart mit den Handrücken ab. „Nach fünf Tagen auf See habe ich einen Fisch gefangen, der war so groß, dass meine Frau sechs Tage lang die Schuppen von ihm abschrubben musste, bevor wir ihn essen konnten.“
Die Fischer lachten. „Dass deine Alte nicht die Schnellste ist, wissen wir!“, sagte die rote Venja und knallte ihr Ischiglas auf den Tisch. „Nach sieben Tagen habe ich einen Fisch rausgezogen, der war von hier“, sie streckte ihre linke Hand so weit nach links, wie sie konnte, und zählte laut die Leute auf der Bank ab. „Eins, zwei, drei, vier, fünf. He, Firn! Streck deine rechte Hand so weit aus, wie es geht!“ Firn streckte seinen muskelbepackten Arm soweit er konnte. Es lagen etliche Meter zwischen Venjas und Firns Hand. Anerkennendes Raunen ging durch ihre Reihen. „So lang war der!“
Der dicke Torleif beugte sich vor und als er sprach, dröhnte sein Bass durch die Schankstube. „Nach zwei Wochen auf See fingen wir einen Burschen, der war so lang, dass er von seiner Schwanzflosse bis zum Maul gerade auf unsere Bank hier gepasst hätte. Und hier sitzen zwölf Fischer und Fischerinnen nebeneinander!“
Wieder ging ein Raunen durch den Raum. Doch sie hatten die Rechnung ohne den Wirt gemacht. „Das ist noch gar nichts“, sagte er. „Ihr wisst, dass auch ich früher als Fischer zur See gefahren bin?“ Die älteren nickten. „Ist euch in all den Jahren aufgefallen, dass die Rückwand meiner Schenke gebogen ist und dass die Bank, auf der ihr sitzt, genau in diese Biegung passt?“ Alle Köpfe drehten sich, um nach der der gebogenen Wand hinter ihnen zu sehen und manche standen auf und begutachteten die gebogene Bank, die von Wand zu Wand reichte.
Als sich alle wieder beruhigt hatten, fuhr der Wirt fort. „Das ist deswegen so, weil der Dachbalken über euren Köpfen nicht aus dem Wald stammt von einem gerade gewachsenen Baum, sondern der Knochen eines Fisches ist, den wir zwei Monate im eisigen Nordmeer gejagt haben.“
Alle Köpfe ruckten nach oben und bestaunten ehrfurchtsvoll den bleichen Knochen, der das Dach trug und dem die Biegung der Wand folgte, vor der ihre Bank stand.
„Ha!“, sagte der dicke Torleif und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Das Rückgrat deines Fisches Wirt, ist genauso lang wie mein Fisch war. Es steht unentschieden.“
Der Wirt schüttelte den Kopf. „Das ist nicht das Rückgrat des Fisches. Was ich als Balken für meine Schenke verwendet habe, ist der linke Unterkiefer und auf der anderen Seite des Hauses ist der rechte Unterkiefer. Deswegen heißt meine Schenke auch ,Zum Fischmaul‘.“
Die Fischer und Fischerinnen grölten vor Lachen und bestellen alle noch mehrere Runden Bier und Ischgi, um die Geschichte des Wirtes zu feiern. So machte der Wirt an diesem Abend wieder einmal einen guten Fang.