Publikation: Helios-Bote Seite 1 von 34

Die Hexe

Am Abend wurde sie gefasst
Die Schlinge hängt an starkem Ast
Der Scheiterhaufen ist geschichtet
Gleich morgen früh wird sie gerichtet
Sie ist so hilflos und so klein
Sie werden böse zu ihr sein
(Böse sein, ja)

Kehrreim:
Du willst
Du willst die Hexe
Du willst die Hexe nicht
Du willst die Hexe nicht peinigen
Du willst die Hexe nicht steinigen
Sie durch das Feuer nicht reinigen
Du willst Dich mit ihr vereinigen

Du warst als Häscher mit dabei
Gewissen lastet schwer wie Blei
Tief in der Nacht schleichst Du zum Anger
Allein steht sie halb nackt am Pranger
Du löst den Strick um Leib und Bein
Du weißt, sie kann nicht böse sein

Kehrreim: Du willst…

 

Zum Richtplatz ruft des Hornes Ton
Ein Schrei: Die Hexe ist entflohn
Wo warst Du heut vor Morgengrauen?
Man sagt, Du magst die Zauberfrauen
Sie greifen Dich, sie sperrn Dich ein
Denn einer muss der Böse sein

Kehrreim: Du willst…

Nun stehst Du selbst am Pfahl gebunden
Es rinnen Deine letzten Stunden
Die schwarzen Wolken tiefer drücken
Die Menge brüllt schon voll Entzücken
Der Regen prasselt auf Dich ein
Sie werden böse zu Dir sein

Kehrreim: Du willst…

Vom Himmel blitzt ein Strahl aus Licht
Er löst das Seil, doch brennt Dich nicht
Empor dich zarte Hände ziehen
Auf schnellem Besen zu entfliehen
Weit hinter Euch verklingt das Schrein
Warum muss einer der Böse sein?

Kehrreim neu:
Du wirst
Du wirst die Hexe
Du wirst die Hexe nicht
Du wirst die Hexe nicht peinigen
Du wirst die Hexe nicht steinigen
Sie durch das Feuer nicht reinigen
Du wirst Dich mit ihr vereinigen
Immer wieder vereinigen

Der Handelsprophet (HB 86)

Die Kanäle sind zugefroren. Die Märkte sind leer. In den Wochen um die Crelldinornacht tut sich wenig im Handel. Einzig die Tavernen sind voll und haben einen reißenden Umsatz zu verbuchen. Alles hofft darauf, dass Saarka nicht noch rauher wird.

Die unverzichtbare Liste des guten Geschmacks (HB 86)

Was sich schickt:

  • Gefüllte Tavernen
  • Lange Nächte
  • Gefüllte Feuerholzvorräte
  • Fleißige Schreiber und Bibliothekare

Und was nicht:

  • Leere Märkte
  • Kurze Tage
  • Eiseskälte
  • Verspätete Rückmeldungen

Neu-Esclarwehr – Eine stille Beerdigung

Das Tiefländerlehen Artir in Luchnar ist ja jüngst endlich gegründet worden, mit Eylwine von Kastelmond (früher Esclarmond) als herrschender Freifrau. Die Vorbereitungen liefen aber bereits seit Jahren. Als Hauptorte geplant waren Rotmark im Nordwesten und Neu-Esclarwehr im Südosten Artirs.
Rotmark sollte nahe der Grenze zur Baronie Flaitney liegen, unweit der Querstraße Q1, die Luchnar mit Flaitney verbindet. Neu-Esclarwehr sollte einige Meilen weit vom ehemaligen Esclarmond (neu Caistlemond) mit der Feste Esclarwehr entstehen, im Hinterland, am Rande von Feldern und Wald.
Nach Rotmark/Ruadhmora, wie es heute offiziell heißt, zog ein Gutteil der Tiefländ-Hochländer aus Norden und Mitte Luchnars. Die Lage fast in Sichtweite der Hochland-Querstraße war attraktiv, man wunderte sich fast, dass es dort noch keinen grenznahen Ort gab. Rotmark ist nach nur wenigen Jahren aktuell bereits die sechst- oder siebtgrößte Siedlung Luchnars.
Beim geplanten Neu-Esclarwehr wurden zwei Holzschuppen errichtet, um Baumaterial für die Siedlung zu lagern. Danach geschah dort kaum mehr etwas.
Die in Caistlemond verbliebenen Tiefländer zeigten wenig Lust, sich in einer kleineren, wirtschaftlich noch zu etablierenden Siedlung niederzulassen, wo sie doch in Caistlemond alles hatten, was sie brauchten. Wenige zogen nach Rotmark, einige auf die halb entvölkerte alte Feste Esclarwehr, einige blieben einfach in ihren Häusern nahe der Feste.
Die Lagerschuppen wurden schließlich in Speicher für Getreide und Feldfrüchte umgewandelt, die auf den Feldern der Umgebung ja dennoch angebaut werden mussten. Das schon gelieferte Baumaterial wurde für eine kleine Hütte verwendet, wo zur Erntezeit Feldarbeiter übernachten können. Wer hier nicht unterkommt, schläft einfach auf dem Heuboden. Die Leute nennen den Ort unter sich Feldhütte, vielleicht entsteht hier irgendwann einmal eine kleine Siedlung. Das eigentliche Projekt Neu-Esclarwehr wurde stillschweigend beerdigt.
Caistlemond ist als Caistlemond / Kastelmond heute der einzige Ort Luchnars, wo eine relevante Anzahl Tiefländer unter den Hochländern wohnt. Das Nioch gehört zum MadUaine-Gebiet, aber seine tiefländischen Bewohner und die ehemalige Feste werden zum Lehen Artir gerechnet. Das untere Stockwerk der Feste wurde von Eyllinde von Kastelmond (Schwester von Freifrau Eylwine) in eine Art Markthalle umgewandelt, mit Taverne, Schule, Heilerstube und verschiedenen Läden. Der sperrige neue Name Tych Caistlemond / Haus Kastelmond wird mittlerweile im Volksmund zu Tych Haus abgekürzt.
Wenn es einen Ort gibt, wo sich Hochland und Tiefland zu etwas Eigenständigem vereinigen könnten, dann ist das hier. Doch bleibt das abzuwarten. Erzwingen kann man im Hochland gar nichts.

Die verschlossene Kammer

Im Schankraum des Gasthauses zum Goldenen Stechapfel auf der Drachentrutz, an dem langen Ecktisch, der den Butzenscheiben zugewandt ist, die über dem steilen Hang hinunter zum Fluss liegen und auf denen die Wappen der Drachentrutzer Stutzer abgebildet sind, treffen sich abends gerne die Meister der Zunft der Eisengräber auf der Drachentrutz, die die Stempel und Sigel schneiden sowie Gravuren fertigen. Diese versehen ein Handwerk, das den hohen Herren auf der Drachentrutz oft zu Diensten ist und ihr Umgang mit denselben versetzt sie in die Lage, besser Kunde zu geben als andere und das eine oder andere zu erfahren, was sonst im Halbdunkel der Kanzleien und Schreibzimmer hoher Herrschaften verbliebe. Bei meiner Verrichtung in dieser Taverne nun hörte ich zuletzt den Alt-Zunftherrn Scheidner eine Geschichte erzählen, die es wert ist, hier niedergeschrieben zu werden:
Der Altherr erzählte bei einem dunkeln Bier, dass ihm der jüngst verstorbene Altknecht Wilbrod kurz vor seinem Ableben eine seltsame Kunde übermittelt habe, die ihm immer noch zu denken gebe. Wilbrod war vor etwa 10 Jahren in seinen Dienst getreten, um sein Altenteil zu verdienen, zuvor war er lange Geselle beim Hohen Zunftmeister Eisenbrecher gewesen, ehe der verstorben war. Zunftherr Scheidner nun berichtete Folgendes:
„Der Wilbrod, ich sags Euch, der kannte viele Geschichten und mehr, als manch einer denkt, denn er war lange im Haus des Eisenbrecher und der schnitt früher dem alten Drachen, seiner Durchlaucht Waldemar, die Sigel und Zierrate – da mag manches Wort gesprochen und gehört worden sein, das nicht für die Ohren eins jeden Gesellen bestimmt gewesen!
Aber diese Geschichte, die hat es in sich, und ich frage mich, was sie bedeuten mag: Der alte Wilbrod erzählte sie so, wenngleich nach einem Schnaps ein wenig ausgeschmückter:
„Als ich im Haus des Zunftherrn Eisenbrecher diente, hatte ich auch die Obhut über eine ganz sonderbare Sache: Es gab im Erdgeschoss, im hinteren Teil des Hauses – zur Stadtmauer hin, ein Zimmer, das stets verschlossen gehalten wurde. Nur manchmal wurde ich angewiesen, diesen seltsamen Raum mit einem großen Kamin einzuheizen und eine große Laterne, welche im Raum darinnen, mit Kerzen zu bestücken, was ich auch stets getreulich tat. Der Raum war einigermaßen schmucklos, aber in ihm standen Tisch und Stühle sowie ein Schrank, der verschlossen. Auch ein verriegelter Sekretär befand sich darin. An der Wand hingen Felle und ein großer Gobelin, der mir in guter Erinnerung ist, da er einen großen Drachen zeigte. Manchmal nun bekam ich am Morgen, nachdem ich dort eingeheizt hatte, den Auftrag, in dem Raum zu räumen und dann fand ich dort zuweilen Gläser oder eine leere Platte, als wäre jemand zum Mahl hier gewesen. Fast immer fanden sich Kerzenstummel und hin und wieder auch Krümel, wie sie beim Glätten eines Pergaments entstehen, und einmal fand ich einen abgebrochenen Federkiel am Boden liegen. Es bestand kein Zweifel, jemand musste in der verschlossenen Kammer gewesen sein – wohl die halbe Nacht – aber ich schwöre bei dem Einen, niemand ist ins Haus gekommen in jenen Nächten und die Herrschaft schlief vorne raus! Auch war der Raum ja stets verschlossen, es sei denn, der Herr gab mir den Schlüssel, zum Richten und Räumen, den er ansonsten stets bei sich trug.
Das alles war recht seltsam, und ich konnte mir lange nichts darauf reimen, aber einmal gab es doch noch etwas: Es war die Zeit des schlimmen Krieges in Drachenhain und keiner auf der Feste wusste, wie es ausgehen würde. Der Fürst Waldemar war verschwunden und der junge Herr Leomar schien die Oberhand zu behalten. Die Schlüssel der Trutz selbst jedoch waren noch beim Kanzler, Giselher von Mühlenheim, von dem man sagte, er sei weniger nach außen als nach innen herzlich. Nun, es waren schwere Zeiten, aber davon wusste ich nicht viel, ich hatte wieder den Kamin im Raum zu feuern und ich tat, wie mir geheißen, die Scheite glommen aber nicht recht und ich half mit Reisig nach, das rauchte aber stark, und ich brauchte dadurch länger. Auch wollte ich die Türe aufstellen, damit der Rauch besser abzog, was ich tat. Ich nahm mir vor, sie ein wenig offen zu lassen, und setze mich neben sie in den dunklen Hausgang, um zu warten. Dabei allerdings muss ich eingenickt sein, denn – im Schatten sitzend- wurde ich von einem Rums geweckt: Jemand hatte die Türe zugezogen und – klirr – den Riegel von innen davor gelegt. Ich wusste nicht, wie mir geschah, aber obwohl ich mir nicht erklären konnte, wie jemand in den Raum gekommen sein konnte, ohne an mir vorbei zu gehen und mich also zu entdecken – darob war mir mulmig -, blieb ich vor der Türe sitzen, ja mehr noch, die Neugier zwang mich, an der Tür so gut es ging zu lauschen. Ich hörte bald, dass wenigstens 2 Leute im Raum waren – offenkundig Männer. Sie sprachen miteinander, mal zu leise, um etwas zu verstehen, mal aber auch recht nah an der Tür, so dass ich deutlicher hörte, was gesprochen wurde. Mal sprachen die beiden erregt, mal ruhiger, aber einige Dinge konnte ich verstehen. Beide Stimmen zügelten sich offenbar nur mühsam und waren gewohnt, dass ausgeführt würde, was sie befahlen. Fetzen drangen so an mein Ohr: „Der Fürst….!“ „Nicht Euer Diener!“ … „Gedenkt des Schwurs…“… . Das ging eine Weile so und ich wusste das alles nicht recht zu deuten. Dann jedoch schien man sich zu einigen und nahe der Tür hörte ich sprechen: „Wohlan denn, Herr, wenn Ihr haltet, was ihr mir hier und heute für mein Haus verspracht, dann will auch ich meinen Teil des Handels halten und Euch Dienst leisten und Euch zu Willen sein.“
„So sei es, ich werde Euer dreierlei viergläubiges Geheimnis nicht preis geben und es wird für sie durch ein Allod auf der Feste gesorgt werden, das schwöre ich! Beachtet ihr Euren Teil der Abmachung, dann werdet ihr stets in meinem Dienste bleiben und Eure Macht wird größer sein als eh“.
„Das sollt Ihr mir siegeln!“
Dann sprach man an entfernterer Stelle weiter und auf einmal vernahm ich Worte des Abschieds. Schon hörte ich den Riegel zurückschieben… So überrascht war ich, dass ich mich nicht in Sicherheit bringen konnte und schon glaubte, meine Neugier sei mir allzu leichtfertig zum Verhängnis geworden, doch nichts dergleichen. Es ging niemand aus dem Zimmer!!!
Ich wartete dann am Fuße der Stiege, um rasch hoch zu schlüpfen, jedoch es kam niemand! Ich konnte es nicht glauben.
Am Morgen musste ich die Kammer räumen und offensichtlich hatte ich nicht geträumt, denn ich fand zwei Kelche und auch eine Petschaft frischen Wachses, ein Siegel schien gebrochen worden, darauf war noch ein halber Drache zu erkennen. Mehr ließ sich nicht deuten.
Beim Einen, das Ganze war eine seltsame Geschichte, aber es waren seltsame Zeiten. Wie indes die Herren die Stube verlassen, das vermag ich bis auf den heutigen Tag nicht zu sagen….“
So sprach Wilbrod, Knecht im Haus Eisenbrecher, und so sprach Zunftherr Scheidner und ich, Ernfried Bolzendreher, Schankgeselle im Goldenen Stechapfel, habe es aufgeschnappt.

Neunstadt Laurenat und das Fürstentum vertiefen ihre Beziehungen

Der Ausspruch „Die Laurenater sind dem Wesen den Drachenhainern am nächsten!“ kann zwar keiner bestimmten Person zweifelsfrei zugeordnet werden, doch veranschaulichen die Worte exakt das, was im Umgang miteinander – vor allem im Vergleich zu den unterschiedlichen südstuerener Allianz- und Subsidienvertretern – offenkundig ist: Man versteht sich!
Es ist beispielsweise kein Gerücht, dass Stadtvicaria Yasara von Hintergart und das Fürstenpaar einander auch öffentlich mit „Du“ anzusprechen pflegen und insbesondere die Fürstgemahlin, Baronin Leabell von Tlamana, sich eines regen Briefwechsels mit der Stadtoberen befleißigt.
Zusehends macht sich diese Nähe auch auf merkantiler und höfischer Ebene bemerkbar. So kam es zur Eröffnung von Handelsniederlassungen sowohl in der Neunstadt als auch auf der Feste Drachentrutz. Hierzulande erfahren insbesondere die Laurenater Glyptiker, mit ihrer phantastischen Gemenschneidekunst, beständigen Zuspruch, aber auch Camaieu-Maler und Celadon-Keramiker – gekennzeichnet mit dem Laurenater Rufhorn – erfreuen sich enormer Beliebtheit. Hinter vorgehaltener Hand ist gar von der Sondierung einer gemeinsamen Handelsgilde die Rede.
Dem nicht genug, vertraute Stadtvicaria Yasara der Fürstgemahlin jüngst sogar ihre älteste Tochter als Gesellschafterin an, um sie in Heligonia bei Hofe einzuführen. Dem Vernehmen nach verstehe diese sich insbesondere mit Prinzessin Lenia von Ardelun.
Dass diese Entwicklung sehr zum Missfallen des historischen Rivalen Ossiaris ausfällt, liegt auf der Hand und wird an entsprechenden Stellen der Stadt oft und gerne gerügt. „Eifersüchteleien“, die Schwertführer Ritter Samuel von Turlach als Stadtprotektor und seine Gemahlin Ildari von Ossiaris bislang virtuos mit Hinweis auf die Fokussierung der eigenen Belange einzudämmen wissen.

Borharcôner reisen – eine Außensicht

Das Volk der Borharcôner ist uns bekannt als ehemaliges Sklavenvolk der Stuerener. In den Tavernen entlang des Jolborn konnte man nun dieses und letztes Jahr auch schon zu wenigen Gelegenheiten reisenden Borharcônern begegnen – entgegen der in den letzten Jahren gezeigten Gepflogenheiten waren diese außerhalb ihrer Jagdgründe unterwegs.
Dabei reisten sie sehr bescheiden, leisteten sich oft keine Zimmer, sondern lagerten nahe der Anlegestellen für sich. Zu hören bekam man, dass sie sich auf der Suche nach der Vergangenheit befänden, um ihre Zukunft ordnen zu können, die „alte“ Heimat zu finden sei ihr Ziel. Stolz auf sich und zugleich bescheiden, möchte ich sie nennen, sparsam, mit kleinem Säckel reisend, aber großzügig, wenn wo Hilfe vonnöten ist, auf dem Boden sitzend, aber doch mit offenen und weiten Sinnen.
Ich sprach dieser Tage mit einer Gruppe von ihnen, die es in ferne Lande verschlagen hat. Sie berichteten, dass sie kaum eine Spur der Reisen ihrer Vor-Ahnen gefunden hatten, dafür aber Abenteuer zu bestehen hatten, Schattenwölfe besiegt, Untote erschlagen und böse Orkenbuben in die Schranken gewiesen hätten. Eher ungewollt als beabsichtigt sind sie auch Botschafter der borharcônischen Kultur und Lebensweise, so sollen sie wohl beim Herbstfest in Mooringen ihre Lieder zum Besten gegeben haben. Mir jedenfalls sind sie sympathisch, sie sind bescheiden, höflich, aber gerade raus, sprechen zwar zu Zeiten ein wenig komisch daher, aber das sind wir Tavernenwirte von vielen anderen Flussfahrenden auch gewohnt.

Einzug auf dem Mühlenstein

Vor einigen Tagen reiste ich mit der frisch eingesetzten Vogtin Karlotta-Irene zur Tharlisburg, die bereits für sie und ihre Schwestern hergerichtet worden war, um dort einzuziehen. Wir zogen durch den dichten Mischwald und wann immer wir an einem der dort gelegenen Höfe vorüberkamen, wurde der kleine Tross höflich und neugierig, doch aber auch ein wenig misstrauisch beäugt. Die Tharlisburg liegt leicht erhöht auf einem Hügel im Norden der Vogtei und schon aus der Ferne sah ich das Banner mit dem Mühlenberger Wappen immer wieder durch die Bäume blitzen.
Dann endlich standen wir vor den Toren. Kanzler Giselher stand erwartungsvoll zwischen den Zinnen, bereit seine Töchter zu empfangen. Doch Karlotta-Irene rührte sich nicht. Sie nahm einige Schritte rückwärts und schwieg nachdenklich. Ich trat zu ihr. „Was habt Ihr? Behagt es Euch nicht?“ frug ich. „Doch, doch, es ist ganz entzückend… Gerade zu begeisternd. Ich wundere mich lediglich, wie jemand dieser Burg den Namen Tharlisburg geben konnte. Findet Ihr nicht auch, dass sie aussieht wie ein riesiger Mühlstein? Die dicke Ringmauer, der Bergfried genau in der Mitte mit einer Brücke zu diesem rundlichen Wachhäuschen auf den Zinnen? Es soll nun Bewegung in diese Burg, in diese Siedlung hier, in die Vogtei Mühlenberg, kommen und das Volk soll sich gesättigt wissen mit dem was von hier kommt. Das ist nicht mehr die Tharlisburg!“ erklärte sie. Daraufhin wandte sie sich um und verkündete: „Ich bin nun bereit die Burg Mühlenstein zu besichtigen.“ Und es war kein Zweifel möglich, dass diese Festung nun nicht länger Tharlisburg genannt werden würde.
Als wir gerade die westlichen Räumlichkeiten in Augenschein nahmen, blieb Karlotta-Irene erneut stehen. Sie wies uns an, still zu sein, ging dann einige Schritte in die Kammer, die vormals als Lagerraum ceridischer Schriften diente, blieb erneut stehen und lauschte ihren eigenen Schritten. „Eine wunderbare Akustik und die passende Größe. Hier möchte ich mein Musikzimmer haben.“ tat sie kund und es wurde nach ihrem Wunsch eingerichtet.
Schließlich war der gesamte Mühlenstein gesichtet und mit kleinen Änderungen für bewohnbar befunden. Am Abend ließ sie der Bevölkerung der nahe gelegenen Siedlung die Kunde bringen, dass am nächsten Tag ein jeder, der fähig sei, ein Instrument zu spielen, zu singen, zu tanzen oder eine andere Kunst zu vollbringen, auf den Mühlenstein geladen sei und alle, für die noch zusätzlich Platz sein würd, ebenfalls kommen sollten, damit der Beginn der neuen Zeit, unter der Herrschaft der edlen Dame Karlotta-Irene von Mühlenheim, Vogtin zu Mühlenberg, Herrin des Mühlensteins, eingeläutet und gewürdigt werden möge.

Feierliche Einsetzung und Neugründung der Vogtei Mühlenberg

„Ich erkläre, die Stände Sengenbergs sind vollständig anwesend!“
Obschon Edler Laurenz Rudolf Doloros, seines Zeichens Kanzler der Baronie, mit dieser Verlautbarung dem Zeremoniell – und gleichermaßen den Bestimmungen des Triburker-Landfriedens (lese HB 82) – genüge getan und die Vertreter der Stände allesamt mit Namen, Titeln und Ämtern angekündigt hatte, schritt Baronin Alenka Sophie nochmals leise und bedächtig einen Kreis um jenes erhobene Podest, das ihr hier, im Lichthof genannten Innenhof der Triburker Stadtburg, zum gewohnten Ausübungsort ihrer Regierungspflichten geworden ist. Um und über ihr, an den vier Innenhofwänden, drängten sich dicht an dicht die geladenen Noblen, Namhaften und Erhobenen auf ausladenden Balkonen und Balustraden dreier Etagen und glichen dabei farbenfrohen Blumenstauden oder dem vollbesuchten Betiser Opernhaus am Heliostag. Über dem namensgebend unbedachten Versammlungsort toste in menschenferner Höhe ein, ob des vielstimmigen Lärms unbemerkter, Wolken antreibender Sturm. Die Baronin, gekleidet im weiß-roten Festtagssamt, den Zopf in Kriegermanier fest geknotet, zog indessen unbeirrt und glanzvoll ihre Bahn. Im Vorbeischreiten blickte sie nochmals eingehend in die Reihen, gerade als ob sie den Wahrheitsgehalt der Aussage ihres getreuen Kanzlers um die Vollständigkeit der Anwesenden nochmals genauer prüfen wolle. Dann besah sie sich die mit bunten Bändern gar hochfeierlich geschmückten Simse, Säulen und Geländer, lächelte kurz erfreut und erklomm letztlich – und zum Aufatmen aller – das zentrale steinerne Podest. Kanzler Laurenz, würdig und fest, gewohnt nahe an ihrer Seite, eine silberne Schatulle in den Händen haltend. Mit einem Mal ward anhaltende Stille im Lichthof und gerade in jenem Moment, da diese unangenehm zu werden drohte, erhob Baronin Alenka Sophie glockenhell die Stimme zu folgender, denkwürdigen Rede:
„Sengenberger, geschätzte Vertreter der Stände. Es tut so wohl, Euch zu sehen und mit jeder Faser zu spüren, welch Kraft und Lebendigkeit uns allesamt verbindet. Jawohl, gesund und kraftvoll schlägt das Sengenberger Herz! Denn wahrlich: Zusammenhalt und Lebendigkeit, das weist uns Sengenberger aus, das sind unsere Stärken!“
Beifall brandete auf, worauf die Baronin mit wohlgesetzten Worten ihre Erinnerung daran anschloss, dass zu Beginn ihrer Herrschaft keinem der Anwesenden – und sie zählte sich selbst dazu – die verbindlichen Bestimmungen des fürstlichen Landfriedens schmeckte, gemahnte im selben Atemzug aber an die offenkundige Weisheit und Weitsicht des Fürsten – sowie insbesondere dessen Kanzlers, Giselher von Mühlenheim (lese HB 80) – was den heutigen Status-quo von „Fast so etwas wie Frieden und eingedämmten Unruhen“ gezeitigt und bewahrt habe. Während die Menge ob dieser Anschauung noch etwas disputierte, letztlich aber zustimmend brummte, stieg ihro Hochwohlgeboren vom Podest herab und wandte sich schreitend wieder direkt an die Versammelten auf den Rängen. Mit erhobenen Armen gebot sie Ruhe und wies hernach mit ausgestreckter Rechten einladend in Richtung der Nordtür:
„Sengenberger, Ihr wisst es! Es gibt einen vornehmlichen Grund, weshalb wir heut‘ und hier beisammen sind: Es wird eine Person in Eure edle Mitte rücken, die – wie einstmals ich selbst – im Moment noch fremd in diesem Lande ist, die aber Mut und Willen einer echten Sengenbergerin zeigt, Menschen und Landschaften unserer Heimat kennenzulernen. Und nicht allein das: Die trotz ihrer noch jungen Lebensjahre willens und fähig ist, als neue Vogtin Verantwortung, Fleiß und Witz für die ihr anvertrauten Menschen aufzubringen. Der Name ihres Hauses ist Euch wohlbekannt. So tretet denn vor, Edle Karlotta-Irene von Mühlenheim!“
Begleitet von Raunen sowie vielstimmigem „Ach“ und „Oh“ der Anwesenden betrat eine junge, anmutige Dame, gekleidet in feinem Samt den Lichthof. In botmäßigem Ernst, doch mit aufmerksam blickenden Augen, schritt sie zu Baronin Alenka Sophie nebst Kanzler Laurenz heran, in dichter Begleitung der ebenfalls durch die Nordtür erschienen Edlen Breanys Vanya, die, wie man sie kennt, in blitzenden Stahl gerüstet war.
Derweil wieder ihren Platz auf dem Steinpodest eingenommen, nahm Baronin Alenka Sophia die Ankömmlinge herzlich in Empfang und leitete mit den folgenden Worten die Ableistung des Lehnseides ein:
„Mit Abzug der Tharlisburger Templer auf fürstlichen Erlass, ist für die Gemarkung der vormaligen Ballei Tharlisburg hier und heute eine neue Vogtei mit neuer Herrschaft zu bestallen. So kniet nieder, Edle Karlotta-Irene von Mühlenheim. Schwört Ihr mir, Baronin Alenka Sophie von Sengenberg, Treue und Gefolgschaft? Werdet Ihr mir folgen, in Senge und in Enge? Und werdet Ihr Euch jeder Art des Ungehorsams enthalten oder Euer Lehen ohne jedwede Gewalt niederlegen, solltet Ihr meinem Willen nicht nachkommen können? Dann antwortet: ‚Ja, dies schwöre ich!“
Die Angesprochene tat, etwas bleich und demütig, wie ihr geheißen und beantwortete die an sie gerichtete Frage mit einem klaren: „Ja, dies schwöre ich, im Namen der Vier Götter!“, worauf ihre neue Lehnsherrin ihr – und gleichsam den Ständen Sengenbergs – mit vernehmbarer Freude in der Stimme zurief:
„So erhebt Euch, Edle Karlotta-Irene von Mühlenheim, Vogtin zu Mühlenberg!“
Nach Abebben der nun folgenden Beifallsbekundungen der Menge, wies Baronin Alenka Sophie ihren Kanzler an, mit der Verlesung und Übergabe des frischbesiegelten Heliosbriefes fortzusetzen. Hernach bat sie den Edlen Laurenz Rudolf Doloros, ihr aus seiner Schatulle den Ring zu geben, der dies Bündnis zusätzlich sichtbar beschließen möge, und steckte ihr allselbst den feinen Silberreif über den Zeigefinger der ausgestreckten linken Hand, nahm sie hernach herzlich in die Arme und küsste ihr zur Besiegelung des Vasallenschwurs die blasse Stirne.

Nebel in Nordsengenberg

Dichter Nebel zieht auf, die Sonne verschwindet im Zwielicht und die Feuchtigkeit saugt einem die Wärme aus dem geschunden‘ Körper. Im Studierzimmer sollte ich sitzen und einen wohlig duftenden Tee trinken und nicht durch die frischen Xurlmonde ziehen.
Der Norden Sengenbergs ist nun wirklich kein schöner Ort. Geradeaus in den Süden ginge es weiter nach Triburk, wohin vor einigen Wochen die jungen Damen des Hauses aufgebrochen sind, doch diese Reise hat ihr Ziel im Südwesten. Begutachtet soll sie werden, die Tharlisburg, und es soll geprüft werden, was die Templer nach ihrem Abzug übergelassen haben. Am Ende steht sie kalt und leer da, oder noch schöner – Vagabunden haben die Burg besetzt und die Anderen müssen draußen warten und frieren, bis die Herren im Wespenrock den Weg freigekämpft haben. Da kommt Gerwig aus der Vorhut zurück, um Bericht zu erstatten. Ich weiß nicht, was sich hier tut, doch die Garde wird neu formiert und zwei Gruppen schwerer Plänkler scheren aus und unser Zug wird verlangsamt. Nun plötzlich Kampflärm und Schmerzensschreie vorn seitlich des Weges. Schnell wird die Haustruppe neu formiert und verschwindet im Nebel. Und so schnell es angefangen hat, ist es auch wieder beendet und es kehrt Ruhe ein. Nichts bleibt als Unruhe und Nebel, welcher sich alsbald auflöst. Glücklicherweise gibt es keine Toten und wenige Schwerverwundete zu beklagen. Von einem Feind ist nichts zu sehen, außer verwesendes Fleisch und ein Topfhelm auf einem blutig verschmierten Pfahl.
Beigewohnt und aus der Erinnerung niedergeschrieben.

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