Nach nunmehr 15 Monaten in den Diensten des Ordens vom Weißen Wasser legte der ehemalige Vogt von Tatzelfels, Gottfried von Norderstedt, geläutert die Kutte des Ordensritters ab. Großzügig bot Baron Leonidas ihm das Amt des Vogtes erneut an, doch der Ritter lehnte demütig ab. Er habe sich in seiner Zeit beim Orden auf seine ritterlichen Tugenden besonnen und wolle nun seinem Schwur Baron und Baronie zu schützen sein weiteres Streben widmen. Der Baron nahm den Ritter beim Wort und nahm ihn in die Tatzelfelser Ritterschaft auf, jenen ehrwürdigen Ritterorden der noch auf Fürst Leomar zurückgeht, als dieser noch Baron von Tatzelfels war.
Publikation: Helios-Bote Seite 27 von 34
Am 26. im 3. Saarkamond wurde unserem allseits geschätzten Baron Leonidas von seiner Gattin ein männlicher Stammhalter geboren. Das Kind ist gesund und hört fortan auf den Namen Agens.
Erster Wendetag im neuen, dem dritten Xurlmond im 40. Regierungsjahr des guten Königs Helos Aximistilius. Ein frostig unfreundlicher Markttag neigt sich auf der Feste Drachentrutz im Fürstentume Drachenhain dem Ende zu. Krämer, Standleute und all jenen, die etwas feil zu bieten hatten, beladen vor der Markthalle müde ihre Wagen und Handkarren mit übriger Ware oder werfen Unrat sowie alles, was nicht mehr zu verkaufen ist, ins dunkle, stinkende Hundsloch gleich hinter dem großen, saalartigen Gebäude. Alles nimmt seinen geregelten Ablauf, Hand in Hand ist die Arbeit schnell geschafft, Abschiede werden ausgetauscht – hehle wie herzliche – alles verläuft wie ehedem.
Unweit der drachentrutzer Markthalle sammeln sich zeitgleich ein letztes Mal für diesen Tag Alt und Jung vor dem Marktbrunnen, füllen ihre Gefäße mit dem wertvollen Nass, mehr als einer in Gedanken schon beim Abendmahl und der wohlverdienten Nachtruhe. Klatsch und Tratsch hält die Müden wach und die Saumseligen eine Weile von der Arbeit im Hause fern – eine gute Übereinkunft, denn trotz des heuer erfreulich wohlgefüllten Brunnens muss angestanden und gewartet werden.
FLAAAAATSSSSSCH! Eine baumhohe Wasserfontäne schießt pfeilschnell aus der Tiefe des Marktbrunnens. Bis auf fünf Schritte sind alle umstehenden mit einem Mal bis auf die Haut durchnässt, viele gar vom Druck der einströmenden Wassermassen von den Beinen und zu Boden gerissen. Jedoch, nicht das Wasser allein ist es, was die Menschen vor Entsetzen erstarren lässt: es ist die menschenhafte Gestalt, die – inmitten der Fontäne – wie der Korken aus der Flasche heraus aus dem Brunnen geschossen kam und nun, gleich ein Marktschreier, auf dem schmalen Brunnenrand steht. „Ein Wassermann“ trauen sich die ersten Mutigen ungläubig zu flüstern. Rasch verstummen diese Stimmen jedoch, als man die großen und vor Zorn funkelnden Augen des Ankömmlings gewahrt. Mit rollender und donnernder Stimme, gleich einem bahnbrechenden Gebirgsbach, sagt er: „WER HAT HIER ETWAS ZU SAGEN?“
Giselher von Mühlenheim ist sichtlich schlechter Laune, die Hände hinter dem Rücken angespannt walkend, stiert er düster auf mehr rote denn schwarze Zahlen. Auch die etwa ein Dutzend Pergamente, die kreuz und quer den einzigen großen Tisch des Turmzimmers zur Gänze bedecken, scheinen dem scharfen Blick des drachenhainer Kanzlers nicht länger standhalten zu wollen und rollen sich – sehr zum zusätzlichen Verdruss desselben und trotz gut platzierter Bleiplättchen – von selbst immer wieder zusammen. Zornig knurrt er: „Verdammte Schafshaut, feine Bütte habe ich bei diesem Jungspund von einem Burgvogt bestellt. Doch was bekomme ich? Ziegenbalg! Danke, Herr von Tuachall, danke, verdammtes Luchnar, für nichts als bockige Stücke Fell!“ Giselher greift in seine Tasche und führt ein goldenes Gefäß zur Nase. „Sapperment, die Bisamkugel muss gefüllt werden“ denkt er sich und vertieft sich wieder in Pergamente. So vergehen die Momente, in denen der ärgerliche Kanzler in seiner betriebsamen Geschäftigkeit weder das Pochen an seiner Tür, noch die hastig heraneilenden Schritte gewahrt. Erst das unziemliche Rütteln an der gebeugten Schulter lässt den angestrengten Sinn des Mühlenheimers vom anvertrauten Fürstenschatz zum Hier und Jetzt wandeln. Zornig fährt er auf: „Was fällt Dir ein, Mann? Mich an der Schulter zu packen, eine Impertinenz sondergleichen!“ Der eifrige Rüttler, Leibdiener Meister Echaz Dattelboom, nun die Zerknirschtheit allselbst, hebt stotternd zur Verteidigung an, als schon von Richtung der Turmtreppen, die zu des Kanzlers Räumlichkeiten im Herzen der Feste führen, das Platschen schnell herannahender, nackter Füße zu vernehmen ist. „Ein Www…. Wasserweeee…sen wünschen seine Hochwohlgeboren zu sprechen, wenn es dem Kanzler belie…“ radebrecht der Diener noch in Giselhers Rücken, als ein recht absonderliches Wesen unter dem Türstock der Kammer steht. Einmal abgesehen vom schulterlangen Haupthaar – das nasssträhnig und voll Wassergras, verrottetem Laub, sowie allerlei Unrat wie Kohlblättern, Eierschalen und Hühnerbein behangen ist – imponiert den beiden Betrachtern vor allem die fahlgrüne und perlmuttglänzende Schuppenhaut, des vor Zorn bebenden Wassermannes, pardon Nöks. Auch die zitternden, rot angeschwollenen Kiemen ziehen im kommenden Moment mehr als nur einen Blick Mühlenheims und Dattelbooms auf sich. Sekunden verrinnen, keiner spricht, bis der fremdartige Eindringling mit ausgestrecktem, dürrem Finger in Richtung des Giselher sticht: „Bist Du der Kranzler, Gansler, Kansler, … oder wie das heißt? Bist Du es, der hier endlich etwas zu SAGEN hat?“
Der Angesprochene hatte sich indes gefangen, all seine gravitätische Contenance und, schlimmer noch, seinen heutigen glühenden Zorn auf die Welt wiedererlangt. Beide Fäuste in die Seite gestemmt donnert er: „Wer hat denn diesen laufenden Lurch raus aus seinem Käfig und hinein in meinen Turm gelassen?“
Später in Dattelbooms Kammer
Vor Meister Dattelbooms sonst so wachen Dienerblick konkurrierten in den nächsten Momenten, da der Kanzler dem Nök seine eigenwillige Begrüßung entgegenbrachte, eine Vielzahl denk- und unterbindungswürdiger Ereignisse um Beachtung, so dass der Diener nur stehen und schauen konnte und auch zur jetzigen späteren Stunde – da er in seiner Kammer haarklein berichtend bei seinem Weibe liegt – es nicht mehr zu rekonstruieren vermag, was sich eigentlich nacheinander zugetragen und an welcher Stelle er – um des Einen Willen – noch eine Wendung zum Guten hätte bewirken können. Erst das Schreien und Zetern der beiden Kombattanten, dann die Beschimpfungen und Drohungen, und letztlich die denkwürdige Kulmination des Ganzen in der schallenden Ohrfeige in des Kanzlers verdutztes Antlitz – Dattelboom kichert leise und verstohlen unter dickem Daunen in die vorgehaltene Hand. Auch wie hernach der junge Burgvogt von Tuachall in Mühlenheims Kammer gestürmt und die beiden Streithähne voneinander trennte, entzieht sich vollkommen seines sonst so versierten Erinnerungsvermögens. Erst als der rotwangige Kanzler die nachrückenden Wachen anwies, den tobenden Wassermann ins „tiefste Loch“ abzuführen, erinnert sich Dattelboom, wieder ganz Herr der Lage gewesen zu sein und emsig all das zerbrochene Geschirr zusammengefegt zu haben, so dass keiner der Anwesenden nachhaltigen Schaden durch Verletzungen nahm – wenigstens ein Erfolg an diesem Tag, denkt sich Meister Echaz, dreht sich zur Seite und sinkt sogleich in tiefen Schlaf. Das einsame Schimpfen und Wehklagen, zwei Etagen der Fürstenburg tiefer, hört er indes nicht.
Seine Durchlaucht, wie auch sein Schwertführer Ritter Samuel von Turlach, stehen bis auf wenige Unterbrechungen fortwährend im Feld in Stueren. Längst sind die eigenen Truppenverbände der meisten Lehnsnehmer, die dem Heerbanne folgten und das Übersetzen des drachenhain-ostarischen Allianzheeres ermöglichten, in ihre jeweilige Heimat zurückgekehrt. Derzeit stagniert allerdings der Krieg, da sich das Heer der selbsternannten Gräfin Aurelia von Drachenhain nach wie vor zwischen das heligonische und das der Stuerener geschoben hat. Anstrengungen seitens der Unsrigen, weiter ins Landesinnere vorzurücken, forderte einen zu hohen Blutzoll und wurden rasch eingestellt. So sichert man weiterhin den Süden – insbesondere die gewonnen und verbündeten Städte – sowie den besetzten Norden, vor allem durch Rebenhainer Verbände, baut durch diverse Maßnahmen die Vormachtstellung aus und wartet ansonsten schlicht ab, wie sich die sogenannten Aurelier wider die Stuerener schlagen werden. Insgeheim „scharrt“ man aber ungeduldig mit den Füssen, allzu lange wird der oben genannte Status somit vermutlich nicht mehr anhalten…
Wie nun veröffentlich werden darf:
Nach Audienz des Fürsten Leomar von Drachenhain und seines Kanzlers Giselher von Mühlenheim in Escandra, vor mehr als einem Jahr, billigte seine allerdurchlauchtigste Majestät, die Einsetzung eines neuen Hohen Amtes. Bekanntlich ist es im Lande Drachenhain ja Brauch und Sitte, Dienstämter, wie das des Kanzlers oder das des Marschalls, mit speziellen Insignien auszustatten, damit der Inhaber für jedermann erkennbar sei.
Somit hat Drachenhain den sechs bisherigen Hohen Ämtern, ein siebtes hinzugefügt, das des Bannerherrn. Deren Insignie soll das brennende Feldzeichen sein, das während den Geschehnissen im und um das Heerlager Messerheide in die Verantwortung des Fürstentums überantwortet worden ist. Das Flammende Banner erwies sich als überaus nützliche Waffe gegen anrückende stuerener Einheiten, nach einem kurzen Ritual entflammte es auf wundersame Weise, worauf der Feind die Waffen streckte und panisch das Weite suchte.
Die Aufgabe des Bannerherrn wird es sein – flankiert von einer kampfstarken Truppe – das Banner stets dorthin ins Feld zu führen, wo gerade die Stuerener Angriffe am stärksten auftreten, oder am meisten Nutzen versprechen.
Es handelt sich also um ein eher „agiles“ Amt, ähnlich das des Botschafters. Jedoch anders als das des Schwertführers, wird dies Amt auch in Friedenszeiten nicht ruhen, sondern allezeit bereitstehen müssen. Auf nachdrücklichen Wunsch des Fürsten, wurde Ritter Gerdling von Weibersbrunn, ehemals Burgvogt der Drachentrutz, mit diesem Amt bestallt und sogleich ins Feld beordert. Das hohe Amt, und insbesondere die wertvolle Insignie, werden somit dauerhaft an das Fürstentum Drachenhain gebunden. Bislang hatte Fürst Leomar das Feldzeichen lediglich als „kriegsrelevant“ requiriert.
Im Anschluss an die Kanaleröffnung wurde durch Adalbert von Torpstein, Baron zu Hoheforingen eine militärische Spezialentwicklung vorgestellt: Es handelte sich um die sogenannten Wasserschlangen, leichte, zerleg- und tragbare Boote, die von zwei Abteilungen von Matrosen der Emaranseeflotte in einem Wettlauf vom Marktplatz in Ankur zum Ufer des Brazach getragen wurden. Die Boote wurden dort zusammengebaut, und zu Wasser gelassen. Schließlich wurde mit einem Bordgeschütz ein Seil auf die andere Uferseite geschossen, worauf sich die Bootsmannschaften mit der Hilfe des Seils ans Ufer zogen. Dort holten sie eine braune bzw. grüne Fahne mit der Marashnatter darauf ein, ruderten wieder zurück, zerlegten die Boote und übergaben die Fahnen an Herzog Angilbert I. Diese Vorlegung der Fahnen in den Farben Hohenforingens war gleichzeitig als Geste der Treue gegenüber dem Herzog gemeint. Die zuerst eingetroffene Mannschaft erhielt zur Belobigung einen Orden von Baron Adalbert.
Zum Abschluss der Ereignisse am Brazachufer, nachdem es nun schon etwas dämmerte, ließ Brenzo Reißwasser, Kapitän der Nordschwalbe aus Härtwigs Hafen durch eine Handvoll Ingenieure (man beachte die tlamanische Aussprache) der berüchtigten Arnacher Wehrtechnologiespezialisten, die zugleich unheilvoll und vielversprechend klingende Feuerwerksinstallation „Brazach in Flammen“ aktivieren. Obwohl die beeindruckende aber auch irgendwie gefährlich anmutende Feuerschau, dem einen oder anderen Zuschauer einen ordentlichen Schrecken einjagte, kam es zu keinem nennenswerten Zwischenfall.
Der Tag wurde mit einem Ball in der herzöglichen Residenz abgeschlossen. Es wurde ausgelassen bis in den Morgen hinein gefeiert. Erwähnenswert ist sicherlich der Prinz von Thal, der mit allen erlauchten Damen die ganze Nacht hindurch tanzte, bis auch die letzten Tänzer das Parkett räumten.
Verehrte Leser, höret also was sich zugetragen während der Amtseinführung seiner Erlaucht, Angilbert I., Herzog von Ostarien. An diesem denkwürdigen Tag trug es sich zu, dass sich die Tore des Herzog-Angilbert-Kanals zum ersten Male für die Öffentlichkeit öffneten, der von nun an den Emaransee mit Jolborn und Brazach verbindet. In Yllmar taten sich wenige Tage zuvor zum ersten Mal die Schleusentore auf, um das Flaggschiff der Emaranseeflotte in den schiffbaren Kendlon zu entlassen, damit dieses bei der Flottenparade zur Amtseinführung unseres geliebten Herzoges anwesend sein konnte.
Während die Kriegskogge „Ehlerwaldstolz“ unter dem Kommando von Peregrin von Nordemeran und das Flaggschiff „ Anselm von Thal“, ein Schiff der Herzog Uriel Klasse unter dem Kommando von Elian Sander unter tosendem Applaus und Jubelschreien der versammelten Bevölkerung von Yllmar den Kanal verließ, schlossen sich weitere Einheiten der Brazachflotte dem Festverband an, um nach Ankur zu segeln, darunter die in Neuenstein stationierten Ruderkampfschiffe und Segelfahrzeuge unter dem Kommando von Kapitän Harbert von Rotzingen-Kasau.
Zu gleicher Zeit versammelten sich um die Zollhäuser und Schleusen entlang des Herzog- Angilbert-Kanals die Menschenmassen um die Amtseinführung mit voller Beflaggung und einer Parade der dort stationierten Armeeeinheiten zu feiern, wie vom Generalquartiermeister Karolus von Neuenstein verfügt. Darüber hinaus wurde der komplette Herzog-Angilbert-Kanal am Abend des Festtages von unzähligen Laternen illuminiert.
Karolus von Neuenstein stiftete an jedem Zoll- bzw. Schleusenhalt des Herzog Angilbert Kanals einen Stützpunkt samt Schutztrupp-Besatzung mit angeschlossener Herberge, damit die Reisenden entlang des Kanals stets vor aller Unbill und Gefahr geschützt seien.
Die Verbände der Zollposten, die dem Kanalerbauer Karolus von Neuenstein unterstehenden Truppen, die Verbände der Sicherungstruppen des Kanals sowie die auf dem Truppenübungsplatzes Lordsburg stationierten Einheiten versammelten sich zu einem prachtvollen und farbenfrohen Parademarsch nach Ankur zu Ehren Seiner Erlaucht Angilbert I., Herzog von Ostarien, der jeden Uniformliebhaber in Entzücken versetzte. Bei der Ankunft der Marschkolonne wurde die Oberhoheit und die Verwaltung des Kanals von Karolus von Neuenstein voll Stolz und Demut an Seine Erlaucht übergeben. Seine feierliche Ansprache beendete der Generalquartiermeister mit dem schönen Satz: „Die Schutztruppe vereint alle Ostarier entlang des Kanals, Erzmarker, Oranecker, Tristenberger, Hohenforinger, Lodenburger, Emaranier und Soltraner unter einem Banner, dem des Friedens und des Zeichens unseres gütigen und guten Herzogs Angilbert, dem ein langes und gesundes Leben Beschieden sei.“
Einer der vielen Höhepunkte der Festtage zur Übernahme der Regierungsgeschäfte von Herzog Angilbert I. Uriel, sicher aber der für die Zuschauer spektakulärste, war die große Flottenparade auf dem Brazach am 13. Tag des 1. Poena 42 n.A.III. Die Gerüchte, wie viele Meilen der Konvoi wohl lang wäre und wie viele Schiffe dabei sein würden, wurden von Stunde zu Stunde ausufernder. Doch kaum einer wusste so recht, was die Zuschauer erwarten würde. Und viele, unüberschaubar viele Zuschauer waren an das Brazachufer gekommen. Selbstredend war die Ehrentribüne bis auf den letzten Platz gefüllt und neben dem jungen Herzog waren mehr Herrschaften von Stand vertreten, als auf so manchem Adelstag. Ebenso war das gesamte Admiralskorps der Marine in Galauniform zugegen. Inmitten dieser trauten Runde war auch die Seeherrin von Drachenhain zu finden, die sich offensichtlich sehr wohl fühlte. Insgesamt wäre es hier müßig, endlose Listen von Namen aufzuzählen. Ebenso wollen wir den geneigten Leser nicht mit Flottenlisten langweilen und werden Schiffsnamen deshalb nur im Ausnahmefall erwähnen.
Schon von weitem sah man die vollbesegelten Schiffe den Fluss herabkommen. Die Eröffnung machte die Abordnung des Marinekurierdienstes. Kurierschiffe mit bunt bemalten Segeln in sauberer Formation zogen am Stadthafen vorbei. Es waren – der Anzahl der ostarischen Baronien entsprechend – zwölf Schiffe und auf jedem Segel prangte übergroß und leuchtend ein Baroniewappen. Für den Kenner aber noch bemerkenswerter als dieser farbenfrohe Eröffnungsgruß waren die Soldaten an Bord. Auf jedem Kurierschiff stand in schneidigem Habacht eine Gruppe von Männern in schwarzen Uniformen: Marashnattern. Die Elitetruppe der ostarischen Marineinfanterie grüßte so den herrschenden Herzog und führte gemeinsam mit den Baronien den Zug an.
Gefolgt wurde diese Formation von den Schiffen der Gesandtschaften. Eine große, bunte Schar von Schiffen kam den Fluss herab, fast jeder der anwesenden Gäste war per Schiff angereist und eben jene waren nun Teil der Parade. Die weiteste Anreise hatte sicherlich die Karacke „Felsental“ aus dem gleichnamigen fernen Lande Felsental, im Norden der Mittellande, mit welchem Ostarien seit dem letzten Adelstag in Verbindung steht. Ein stolzes Schiff, mit dessen Größe nur Wenige konkurrieren konnten. Der Karacke folgte auch gleich die größte Schiffsabordnung, welche durch die freie Reichsstadt Betis gestellt wurde. Unter der Flagge der stolzen Handelsstadt fuhren nicht weniger als vier Schiffe, nämlich jene die vor 5 Jahren am großen ostarischen Flottenmanöver vor dem Herzog-Uriel-II-Atoll teilnahmen. Ebenfalls einen weiten Weg auf sich nahmen die zwei Koggen aus Seeburg am Bodenlosen See, von wo auch eine Abordnung zu den Feierlichkeiten angereist war. Eine Neuerung aus Drachenhain waren die beiden Handelsfahrer, die aus Lindfurt gesandt wurden. Die neuen Schiffe der Linnen-Klasse sollen den Flusshandel weiter beleben und werden sicher zukünftig noch öfter in Ankur zu sehen sein. Noch weiter aus dem Süden, nämlich aus Thal kam der neue Hochsee-Segler der Baronie Welzen, die „Sirkos“. So mancher Seebär mutmaßte hierauf, ob sich Welzen wohl zukünftig stärker in den Südlanden engagieren werde. Den meisten Platz in diesem Teil der Parade hatte aber das Kurierschiff „Nordschwalbe“ das für Arnach aus seinem Stationierungsort Härtwigs Hafen angereist war. Wirklich bedrohlich hierbei waren aber die Aufbauten auf dem Deck, die einige Ingenieure des Arnacher Arsenals anbrachten, um am Abend ein Feuerwerk abzubrennen (welches, wie sich später herausstellte großartig und weitgehend ungefährlich war). Trotz der sicheren Zusage, während der Parade kein offenes Feuer an Deck zu haben, bewahrte so mancher andere Schiffsführer angemessenen Abstand. Immer wieder durch kühne Wendemanöver und kräftige Ruderschläge ihre Position wechselnd sorgten zwei Angaheymer Drachen immer für Aufsehen. Ebenso trugen die stolzen Hochtalbewohner ihre Freude aber auch durch wilde Gesänge und Jubelrufe zur Schau.
Nun war es an der drachenhainisch-ostarischen Allianzflotte, dem Herzog zu huldigen. Auch wenn der Stueren-Konflikt im Moment nur leise schwelt, sorgen diese tapferen Seeleute für Sicherheit und Nachschub an der Nordwest-Grenze. Sechs Schiffe, jeweils eines aus Drachenhain und eines aus Ostarien fuhren Eines neben dem Anderen den Fluss herab und als Zeichen der Verbundenheit waren mit Wimpeln und Blumen verzierte Girlanden zwischen den Schiffen gespannt. Hier fuhren die ostarische „Jolseelilie“ und drachenhainische „Südwind“ Seit an Seit. Die beiden Flaggschiffe zeigten so jedem Zweifler offen, dass zwischen die beiden noblen Länder kein Keil zu treiben ist.
Der nächste Teil Parade war nun die Ehrenformation der Schiffstypen der Ostarischen Marine. Für die Ruderkampfschiffe fuhr die legendäre „Pfeilschnell“ unter ihrem nicht unbekannten Kommandanten Joost van Goov. Die Bewaffneten Fischereifahrzeuge wurden durch die „Baroness Sophia“ vertreten. Gerüchte sprechen dem kleinen Schiff sagenhafte Eigenschaften zu und nicht umsonst ist die „Baroness“ das einzige Schiff, das die Erlaubnis hat, die gefürchtete Yagibur-Route zu befahren. Die Frachtkoggen wurden durch die „Carolus Valentinus“ vertreten (deren hagerer Kapitän für seine grotesken Erzählungen bekannt ist). Die Kriegskoggen der Darbor-Klasse wurden von der in Ankur beheimateten „Lodenburg“ vertreten. Die modernen Schiffe der Herzog-Uriel-Klasse repräsentierte die „Prinzessin Richiles“, die bereits am 2. Ödlandkrieg teilgenommen hatte. Das letzte Schiff diese Gruppe war die „Utzgolf“ eines der neuen, großen Lazarettschiffe der Flotte.
Mit besonderem Jubel wurden nun die drei Schiffe der 1. Ostarischen Expeditionsflottille empfangen. Geführt wurde diese Gruppe wie immer durch das eherne Kommando von Ostariens wohl bekanntestem und verwegenstem Seehelden, Kommodore Xurlsen Kielholer, auf dessen Taten sich auch der Ruf der oben erwähnten „Pfeilschnell“ stützt. Für die Flottille aber war es auch eine Abschiedsfahrt denn zwei Tage nach den Feierlichkeiten brachen die Schiffe ein weiteres Mal über die Weltmeere auf um Länder zu sehen, die nie ein Ostarier zuvor betreten hat.
Zuletzt nahte eine Gruppe großer Segler verschiedener Bauart. Wie auch die erste Gruppe hatten sie prächtig bemalte Segel, aber diesmal prangte auf jedem strahlend weißen Leinen das Wappenschild mit der Marashnatter, das Wappen des Herzogtums. Es waren die „Erzmark“, Flaggschiff der Brazachflotte, die „Prinz Aftalun“ Flaggschiff der Jolbornflotte, die „Xurliana“, Flaggschiff der Kolonialflotte und die „Anselm von Thal“, Flaggschiff der Emaranseeflotte. Diese Formation war in der Tat eine Premiere, denn alle Flaggschiffe der vier ostarischen Flotten an einem Ort, das gab es vorher noch nie. Bisher war der Wasserweg zum Emaransee nicht schiffbar und die „Anselm von Thal“ war das erste große Schiffe, dass vom See herabgeschleust wurde (und das ganze drei Tage vor der Eröffnung des Herzog- Angilbert-Kanals, der bürokratische Aufwand muss gewaltig gewesen sein!).
Jubel allenthalben und so manchem wurde vom vielen Salutieren der Arm schwer. Die Stimmung auf der Ehrentribüne war fröhlich, ausgelassen aber auch würdevoll und in der Mitte sah man den jungen Herzog stolz und zugleich gerührt. Wer im Lande konnte schon von sich behaupten, mit solch einer Parade geehrt worden zu sein?
Herzogengroßmutter Walluma von Carajon wurde vom Großen und vom Hohen Rat der freien Reichsstadt Betis aufgrund besonderer Verdienste um die ostarisch-betiser Freundschaft zur Ehrenbürgerin der Stadt Betis ernannt.
Wolfgrimm Aramantus Mordshart hat im Auftrag des Dogen eine große Oper für und über seine Erlaucht Herzog Angilbert I. Uriel von Ostarien geschrieben. Die Oper mit dem Titel „Angilbert! Angilbert!“ wurde seiner Erlaucht zu seiner Amtsübernahme und als ein Zeichen der tiefen Verbundenheit zwischen Betis und Ostarien zum Geschenk gemacht.
Zum Bürger des Monats wurde in diesem Montag seine Erlaucht Herzog Angilbert I. Uriel von Ostarien ernannt. Der Herzog sei, so die Jury in ihrer Begründung, seit jeher ein großer Freund der freien Reichsstadt und führe so die Tradition der langjährigen Freundschaft zwischen Ostarien und Betis fort. Überdies solle mit dieser kleinen Geste seiner Erlaucht zu seiner Amtsübernahme gratuliert werden.