Thorkar trat in die Mitte und wandte sich an die Angaheymer: „Ihr wißt, daß mir auch ein Stück Wald in Skagen gehört. Doch Leif Stahlschulter hat auf seinem Grund immer mehr Emmer angebaut, um immer mehr Ischgi zu brennen, den er dann teuer verkauft hat. Weil nur noch Emmer stand, kam der Käfer ins Feld und hat unser beider Ernte vernichtet.“ Leif will wütend dazwischenfahren, wird aber durch lautes Zischen an die Regeln erinnert. Die alte Rechtsformel tat bereits ihre Wirkung. Ich öffnete verblüfft wieder die Augen. Thorkar fuhr fort: „Leif hatte immer noch nicht genug und fällte Bäume für ein neues Feld. Aber die gehörten mir und nicht ihm. Ich will dafür Entschädigung!“
Auf ein Zeichen Findabairs trat nun Leif in den Kreis, das Gesicht rot vor Zorn. Die Käfer seien von Thorkars Feldern gekommen, und die Bäume hätten schon immer ihm gehört. Nix gibt’s!
Findabair fragt in die Runde, ob jemand den genauen Grenzverlauf wüßte. Es folgt eine kurze Diskussion, an deren Ende klar ist, daß niemand etwas Genaues weiß, selbst Marlyn ist sich nicht sicher. Aber eines weiß er: Dass die Käfer immer in allen Feldern waren, wenn sie kamen. Dass sie aus dem Boden kriechen, wenn zuviel Einerlei steht, und dass es eine Strafe von den Drachen ist für soviel Dummheit. Und daß man ein Kraut pflanzen muß und einpflügen, damit sie wieder gehen. Und das wisse doch wohl jedes Kind, jawohl! In das betretene Schweigen hinein kratzte sich nun so mancher Bauer hinter dem Ohr. Aber das löste noch nicht das Problem mit der Grenze und den Bäumen. Schon wollte wieder Streit aufkommen, da zupfte mich Marlyn am Ärmel, und ich verschaffte ihm Gehör. Der alte Druide richtete sich mühsam auf: „Bäume dürfen nicht einfach so gefällt werden! Sie schützen die Felder vor dem Sturm. Sie halten die Erde fest. Sie versperren dem Schnee den Weg. Die Bäume schützen uns alle. Deshalb hätte Leif das Thing um Erlaubnis fragen müssen, und dann hätte Thorkar auch seinen Anspruch anmelden können. Leif hat nicht nur Thorkar, sondern uns allen geschadet. Er darf das Feld behalten, muß den Schaden aber wieder gutmachen.“ Aus der Zuhörerschaft kam leises Gemurmel als Zustimmung. Nun ergriff Rimgar wieder das Wort: Er schlug vor, dass Leifs Sippe fünf Jahre lang die Schlucht in Ordnung halten und das geborgene Holz an Thorkar abtreten müsse. Thorkar allerdings solle ihm bei Schwierigkeiten mit seinen Leuten helfen. Der Vorschlag gefiel den Angaheymern, es gab Rufe und Geklirr mit den Waffen, auch mir schien die Lösung gerecht zu sein. Allein Leif und Thorkar maulten herum, dass Nial sicher anders geurteilt hätte, dass man die Entscheidung doch auf ein richtiges Thing verschieben solle, dass man auch ohne Nicht- , Halb- und Nichtmehr-Angaheymer in der Lage sei, Ordnung zu schaffen und ähnlich freundliche Dinge mehr.
Schließlich trat Findabair dazwischen: „Wenn ihr euch prügeln wollt, dann ohne uns. Die Wieder- und die Immernoch-Angaheymer haben nämlich die Nase voll von eurer Streiterei! Wenn ihr unbedingt rausfinden wollt, wer der Bessere ist, dann machen wir ein Utzganspiel, aber eines von der alten Art. Ihr habt zwei Tage Zeit, eure Kämpfer auszusuchen und euch vorzubereiten. Dann können sich die umbringen, die Lust drauf haben, und alle anderen haben ihre Ruhe. Solange immer noch kein Friede herrscht, bleiben wir an diesem Ort und bereiten euch das Utzganfeld vor.“ Mit heftigem Gebrüll wurden Leif und Thorkar überstimmt, und die denkwürdige Versammlung beendet.
Publikation: Helios-Bote Seite 33 von 34
Nun waren früher die Sippen bunt gemischt im Kreis gestanden, doch in den vielen Jahren meiner Anwesenheit in Angaheym kannte ich bei den wenigen Treffen nur dieses Bild: Die vier Sippen standen streng getrennt, und beäugten sich mißtrauisch und nervös. So war es auch dieses Mal, allein die Heimkehrer bildeten eine fünfte Gruppe und behaupteten stolz ihren Platz im Rund. Nach einigem verlegenen Schweigen ergriff schließlich Rimgar das Wort, und es schien mir, als habe auch er lange, sehr lange auf diese Möglichkeit gewartet.
„Ihr seid in die Heimat zurückgekehrt, und wir heißen euch willkommen! Doch was habt ihr uns zu sagen, dass ihr hier wartet und nicht zu euren Familien heimkehrt?“
Ein junger Mann ruft in den Kreis: „Wir haben gehört, was hier los ist. Das ist nicht mehr unser Angaheym. Es gibt zu viel Streit!“ Und ein anderer: „Wir wollen zurückkehren, aber in unsere Heimat, und das ist sie nicht!“ Dann mehrere Stimmen: „Wir wollen, dass Frieden herrscht, begrabt euren Streit!“ Ärgerliches Gemurmel von allen Seiten. „Dazu muß erst Recht gesprochen werden! Dazu braucht es ein Thing!“ ruft Thorkar Mauerbrecher erbost. Das Gemurmel wird lauter.
„Wir haben bereits ein Thing“, ist plötzlich Findabairs Stimme zu vernehmen. „Wir müssen es nur noch formell eröffnen.“ Mit diesen Worten tritt sie in den Kreis vor den großen Stein. „Nial Felsenhammer, komm in die Mitte!“ Nial trottet nach vorne und blinzelt erwartungsvoll in die Runde. „Rimgar, laß bitte Marlyn hierher tragen. Und Jerronum, ich bitte dich ebenfalls, nach vorn zu kommen.“ Verblüfft folgte ich der Aufforderung, und das Gemurmel wird noch lauter. Ein Stammesfürst, der nicht alle Sinne beieinander hat, eine Bardin U‘Mad, ein fremder Druid und ein mümmelnder Greis – wie sollte denn so ein Thing möglich sein! Ich schloß die Augen, um die folgende Katastrophe nicht sehen zu müssen. Doch Findabair sprach weiter. „Jerronum mag zwar nach so vielen Jahren immer noch ein Fremder sein, aber er ist auf die Bitte von Baron Koldewaiht, eines alten Angaheymer Freundes, hier. Er hat sich um Marlyn gekümmert, was kein anderer von euch tat. Er ist ein Druide und genießt Marlyns Vertrauen.“ Der alte Druide nickt bedächtig mit dem Kopf.
„Und Nial hier ist immer noch der gewählte Thingsprecher. Leider hindert ihn eine Krankheit daran, seinen Pflichten nachzukommen, mag es sich dabei um eine Verwundung oder eine Grippe handeln, das ist einerlei. Unser altes Recht besagt, dass er in diesem Fall von Barde und Druide vertreten werden kann.“ Wieder nickt Marlyn, seine Augen glänzen.
„Wir werden nun also Recht finden und Recht sprechen. Tretet in den Kreis, tragt euer Anliegen vor und laßt die Hand von der Waffe, wie es Brauch ist.“
Verblüfftes Schweigen war eingetreten, und manch einer ahnte, dass er irgendwie überlistet worden war, behielt es aber wohlweislich für sich.
Auszug eines Berichtes, welcher am Königshof vorgelegt wurde.
Eure durchlauchtigste Majestät!
Ich möchte euch kurz berichten, was im Lande Corenia vor sich geht.
Wie ich bereits in meinen Berichten erwähnte trafen sich die Landesherren – Vorleute genannt – um einen Prinzipaten zu wählen. Sie taten es in der Meinung, es sei ein Vertreter, der im Namen ihrer Versammlung spräche, wenn diese nicht tagt. Ob aus diesem Amt aber mehr wird, vielleicht ein König gar, wird die Zeit zeigen.
Sicher ist jedoch, dass die Wahl weniger ruhig verlief, als erhofft. Die Rede ist von alten Flüchen, Söldnern und in Rage geratenem Fahrendem Volk. Manche sprechen sogar davon, dass der in meinem letzten Schreiben erwähnte „Xurlbrunnen“, ein Schrein des Herrn der See, seine Macht und seinen Segen verloren hätte. Wenn auch nur die Hälfte der Gerüchte wahr sein sollte, dann scheint im Fernen Süden mehr unter dem Deckmantel der Einigkeit mehr von Statten zu gehen, als man meinen möchte. Leider ist die Zahl der verlässlichen Informationen aber nach wie vor so begrenzt, dass kaum Wahrheit von Unwahrheit zu trennen ist.
Sicher sind aber 2 Dinge:
Zu Prinzipatin wurde Namia, die Vorfrau von Grauwacht gewählt. Sie ist es nun, die das Schicksal Corenias lenken soll. Bis zu den Tagen der Wahl vertrat Namia eine sehr harte Position gegen über aller, die keine Corener sind. Also auch gegen uns. Es schein aber so zu sein, dass Namia ihre Meinung geändert hat und sie zeigte sich nun deutlich offener und weniger abweisend, als man es von ihr kannte. Ob dieser Sinneswandel von Dauer ist und wie sie ihr Land lenken wird, das muss die Zeit zeigen. Jedenfalls ist sie wohl nicht unumstritten bei den anderen Vorleuten und mehr als ein Ausländer hatte seinen Beitrag bei der Wahl.
Ebenso gewiss ist aber, dass Namia dem so genannten Reich der Mitte die Feindschaft erklärte für alles, was dieses Reich wohl tat. Wer genau hinter diesem Reich steht, was deren Bestreben und deren Ziel ist, das ist und bleibt im Dunkeln. Manch einer spricht von einem alten Reich, das im Herzen des Südland-Kontinents liegen soll und nun nach alter Macht zurückstrebt. Ruinen und Artefakte sprechen wohl für eine frühere Größe, aber diese scheint längst vergangen. Hier treffen Legenden, Aberglaube und die Angst der Menschen zusammen. Viel bleibt hier zu untersuchen und es ist gut möglich, dass hinter manchem Ding wirklich dieses Reich der Mitte steckt. Ebenso könnte aber ein ausgebuffter Söldnerhaufen mit genügend Männern dahinterstecken. Wir erlauben uns, unser Auge weiter wachsam hierauf ruhen zu lassen.
Wichtiger scheint es mir allerdings, von heligonischen Handelsposten zu berichten, der auf der Insel Modestia vor der Küste Corenias liegt. Die Wahl des Prinzpaten lies den Handel florieren und der Kontakt zu den Corenern wurde enger denn je, wenn auch kaum zu deren Obrigkeit. Trotzdem kann ich nicht sagen, dass sich das Bild des kleinen Städtchens so entwickelt hat, wie man es sich erhoffte.
Viele Darianer sind hier und machen aus ihrer neuen Heimat das Beste in ihrem Sinne. Selbstredend wird viel Handel getrieben, aber hier zieht manch ein Darianer ein langes Gesicht. Die Pelz- und Lederwaren, die die Corener bieten sind von hervorragender Qualität und jene wissen das genau. Überhaupt sind die Corener sich dem Wert sehr vieler Waren sehr gut bewusst und sie sind gut im Verhandeln und manch ein Darianer macht weniger Profit, als er erhoffte. Wer glaubte, mit Glasperlen und Tand für sich einen guten Profit zu machen, der wird bitter enttäuscht. Aber so kann uns auch kaum ein Corener vorwerfen, man hätte ihn über den Tisch gezogen.
Aber neben dem Handel läuft vieles aus dem Ruder. Leichte Mädchen hat es mehr als man zählen will, mehr als ein Fuselbrenner ist vor Ort, in den Tavernen wird Darok mit hohem Einsatz gespielt und Gerüchte sprechen von der ersten Rauschkrauthöhle in einem Hinterzimmer. Auf der Straße regieren Geld und das Gesetz des Stärkeren und die Gauner fangen an, sich zu organisieren.
Sollte die Entwicklung in diesem Maße weitergehen, dann – so fürchte ich – wird der Ruf des Landes Heligonia im Süden Schaden nehmen. Und die Entwicklung wird so weitergehen, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. Der Hafenmeister und seine wenigen Gardisten sind brave Leute, aber die Stadtgarde ist den Lastern verfallen und eine echte Obrigkeit gibt es nicht. So bitte ich euch, Eure königliche Majestät, zu handeln. Ich werde mir erlauben, euch weiter Dossiers zu Modestia zukommen zulassen, damit Ihr euch ein umfassendes Bild machen könnt. Bis dahin verbleibe ich untertänigst.
Nach wenigen Stunden wußte es das ganze Tal: Die Auswanderer waren wieder zurück! Aber sie gingen nicht zu ihren Familien, sondern lagerten auf dem Thingplatz. Warum? Eilig packte ich ein paar Dinge zusammen und traf in der Abenddämmerung dort ein. Über ein derartiges Ereignis mußte ich dem Baron von Luchnar aus erster Hand berichten! Verblüfft stellte ich fest, daß auch die Bardin zurückgekehrt war, und sie begrüßte mich freundlich: „Jerronum, der Druidh, den Herr Koldewaiht geschickt hat, ich freue mich, dich kennen zu lernen. Man hat mir schon von dir erzählt, ich danke dir für deine Bemühungen. Ich hoffe, die Dinge werden sich nun zum Besseren wenden.“ Auf meine Frage, warum sie hier auf dem Thingplatz blieben, antwortete Findabair: „Weil wir unsere Kraft sonst zersplittern würden. Jeder müßte in seiner Familie dann allein gegen den Streit ankämpfen, so aber kämpfen wir zusammen.“ Ich gab zu bedenken, wie sie die Leute denn abhalten wolle, nach so vielen Jahren ihre Verwandten wiederzusehen. Natürlich würden sich einige in der Nacht davonstehlen, lachte sie, aber genau die würden dann die alten Sturköpfe überreden, endlich einzulenken. Und viele würden morgen hierher kommen und die gleichen Fragen stellen wie ich.
Und tatsächlich, im Laufe des folgenden Tages kamen immer mehr Angaheymer zum Thingplatz, es gab Szenen voll Wiedersehensfreude, aber auch kühles Willkommen, und manche warteten gar vergeblich auf Verwandte. Und immer wieder die gleiche Frage: Warum kommt ihr nicht mit uns nachhause? Und die immer gleiche Antwort: Wir wollen, dass es zuerst Versöhnung gibt! Es dauerte noch zwei Tage, bis sich endlich alle Angaheymer aufgerafft hatten, zum Thingplatz zu kommen, Männer und Frauen, Alte und Junge. Fast alle, denn Nial, der Stammesfürst, und der alte Druide Marlyn fehlten. Die Anwesenheit des ersten erschien in den Augen seiner Sippe nutzlos, der zweite zu alt, um ihm noch so eine Reise zuzumuten. Erst als Rimgar, Tallrims jüngerer Bruder, auf der Teilnahme der beiden bestand und eine Gruppe mit einem Tragesessel Richtung Skagen schickte, ließ auch die Maerach-Sippe kopfschüttelnd Nial holen. So begann am dritten Tag die Versammlung.
Um der 15 Jahre währenden Regentschaft seiner Großmutter und Witwe Herzog Uriels II. ein Denkmal zu setzen, stiftete Seine Erlaucht Herzog Angilbert I. im 3. Saarkamond, 45 n.A.III die Regentin-Walluma Spange. Walluma von Ostarien arbeitete seit dem Tode ihres Gemahls maßgeblich an der Einheit Ostariens über die Religionsgrenzen hinweg. Die Regentin konnte erfolgreich die innerostarischen Konflikte beenden, welche das Herzogtum beinahe zerrissen hätten und die hauptsächlich durch Glaubenszwistigkeiten verursacht wurden. Heutzutage, so Herzog Angilbert in seiner Stiftungsansprache, wäre man mit ganzem Herzen Ostarier und erst in zweiter Linie Ceride oder Ogede.
Die Walluma-Spange verbindet gleichsam zwei Mantelsäume (als Symbol der Religionen) miteinander, dem Herzogtum und damit auch dem Königreich Heligonia und den Menschen darin zum Wohle.
Die ersten, denen die Ehre zuteil wurde, die Spange entgegen zu nehmen, waren Seine Hochwohlgeboren Richard von Arnach, Baron zu Arnach, Seine Hochwohlgeboren Adalbert von Torpstein, Baron zu Hohenforingen und der Edle Normund von Lodenburg, Ritter der Templer von Ankur. Die Herren hatten sich, als ceridische Adlige, bei den Ereignissen auf dem Vortreffen zur Herrscherbegegnung, am Gutshof des Reichsritters Raphael von Sarmand nicht nur durch ihren selbstlosen Einsatz um das Reich verdient gemacht, sondern sich auch über die religiösen Grenzen hinweg für das Wohl aller eingesetzt.
Die Überreichung fand am 4. Tag des 1. Poenamondes 45 n.A.III im herzöglichen Familien-Stadtpalast in Escandra unter Beisein von Herzogen-Großmutter Walluma und Herzogen-Großonkel Herian statt.
Seltsames ereignete sich vor kurzem in der Provinz Celvar auf dem Plan der vor langer Zeit verschwundenen Burg Talwacht.
Leset im Folgenden die exklusiven Bekanntmachungen unseres Schreibers Rüdiger Purzelboom, der sich todesmutig an den Ort des Geschehens begeben und vor Ort Gespräche mit Augenzeugen geführt hat.
Im kalten, verschneiten Winter des Jahres 45 n.A.III manifestierte sich plötzlich über mehrere Tage am Standort der ehemaligen Burg Talwacht ein neuer Bau. Erst waren nach Augenzeugen¬berichten nur Umrisse einzelner Mauern, Häusern und Türmen geisterhaft zu erkennen. Dann erschien mit einem Donnerschlag ein neuer Gebäudekomplex auf dem Berg und hüllte diesen in eine dichte Wolke aus aufgewirbeltem Schnee. Erst nach Stunden war das neue Gemäuer erkennbar auf der Berghöhe wieder sichtbar.
Schon aus der Ferne fällt die ungefähr dreizehn Fuß hohe Mauer, die zwar Teils beschädigt ist, aber dennoch das gesamte Areal zu umschließen scheint, auf. Umringt ist die Mauer von einer Vielzahl von Trümmen und halbzerstörten Hütten und Häusern, die über das Geröll des Berghangs um den Gebäudekomplex verteilt sind. Nur einzelne Häuser scheinen noch mit des Einen Hilfe gerade zu stehen.
Hinter den hohen Mauern kann man eine seltsame, bunte Mischung von Baustilen erkennen: Neben bekanntem Mauerwerk, Zinnen und Schindeldächern, wie sie in aller gesitteten Länder bekannt und bewährt sind, reihen sich fremdartig wirkende, an das Land Darian erinnernde, Häuser und Türme auf, mit reichverzierten Kuppeln und Fensterbögen. Allein die blauen Dächer, ob nun mit Schindeln bedeckt oder aus Kuppeln bestehend, scheinen als Merkmal diese von unterschiedlicher Meisterhand erbauten Werke zu vereinen. Nur im Osten des Komplexes scheint unpassender Weise ein großer Platz angelegt zu sein, auf dem kein Gemäuer steht.
An Kuriosität übertroffen wird diese wilde Mischung an Stilen nur durch das Objekt, welches zwischen den Kuppeln und Türmen im Herzen des Komplexes alles andere überragt: ein hoher wie über Generationen gebauter, abgerissener, neu – neugebauter, wieder teils abgerissener und ausgebesserter Turm. Immer wieder ungleich verteilt sind an einzelnen Stockwerken in unterschiedlichen Höhen Anbauten am Mauerwerk befestigt worden. Gekrönt wird dieser Finger eines Titanen von einer chaotisch aussehenden Anordnung von mysteriösen Gerätschaften, die mit Gläsern und Linsen versehen sind, welche im Schein der Sonne aufblitzen. Seiner imposanten und architektonischen Finesse wird nur durch seine leicht schiefe Lage ein wenig Abbruch getan.
Wenn man sich dem Ort nähert, fallen dem aufmerksamen Beobachter weitere Kleinigkeiten auf. Vereinzelt lassen sich aufgeregte Rufe vernehmen und hinter einzelnen Fenstern der Bauten im Inneren kann man immer wieder Gestalten huschen und seltsame Lichter aufleuchten sehen.
Wer also mehr über diese Bewohner dieser Erscheinung in Erfahrung bringen möchte, muss an einem recht imposanten Eichentor mit kleinem Pförtnerhäuschen um Einlass bitten. Dem Besucher wird momentan allerdings rüde durch einen Sehschlitz mitgeteilt, dass ein Besuch aufgrund „arkaner Indifferenzen und backtechnischer Unannehmlichkeiten“ momentan nicht möglich sei.
In der nächstgelegenen Taverne „Zum lachenden Auerhahn“ kann man allerdings von der ortsansässigen Bevölkerung einige Dinge in Erfahrung bringen:
Purzelboom: Wann habt Ihr den Gebäudekomplex in Talwacht entdeckt?
Herr Kraut (Bauer): Vor gut sieben Tagen flimmerte die Luft dort so seltsam, ich dachte
zuerst, das würde an meinem Rübenschnaps liegen, war aber nicht so.
Frau Kraut (Bäuerin): Dann war da dieses Donnern, die Luft wurde schwer, wie vor einem
Gewitter und es roch nach Sellerie.
Purzelboom: Sellerie?
Herr Kraut: Ja, Sellerie. Am dritten Tag dann tauchten auf einmal verschwommene Umrisse auf, ich dachte, es liegt am Bier, war aber nicht so.
Frau Kraut: Da hab ich zu meinem Mann gesagt, Gustav, habe ich gesagt, hol die Lisbeth und die Adelheid da weg.
Purzelboom: Wen?
Frau Kraut: Unsere beiden besten Milchkühe
Herr Kraut: War leider schon zu spät, plötzlich standen die Häuser da, wo gerade noch die Kühe waren.
Purzelboom: Die Gebäude sind einfach aufgetaucht?
Frau Kraut: Nein, es hat gewaltig gerumst und der Boden hat noch hier im Dorf gewackelt.
Herr Kraut: Über der Talwacht gab es eine Wolke, so etwas habe ich noch nicht gesehen, das war schlimmer als damals, als dem Jan der Brennkessel explodiert ist.
Purzelboom: Seid Ihr nach Talwacht gegangen, um nachzusehen, was passiert ist?
Frau Kraut: Natürlich nicht, wir sind doch nicht bescheuert. Was denkt Ihr denn?
Herr Kraut: Wir haben uns in unseren Häusern versteckt und der Helmut, der
Ortsvorsteher, hat die Bürgerwehr zusammengetrommelt, falls da noch mehr kommt.
Purzelboom: Und kam denn noch mehr?
Frau Kraut: Ein paar sehr nette Männer in seltsamen Anzügen und eine noch nettere Frau mit einem spitzen Hut tauchten ein paar Tage später hier im Dorf auf und fragten nach Gebäck.
Purzelboom: Gebäck?
Herr Kraut: Ja, das war ihnen ziemlich wichtig.
Purzelboom: Haben sie gesagt, wer sie sind und was sie hier wollen?
Frau Kraut: Nein, nicht wirklich. Sie meinten aber sie seien „Magister“ und fragten eben nach dem Gebäck
Purzelboom: War das alles?
Frau Kraut: Sie wollten außerdem noch wissen, wie der Ort hier heißt und wo sie denn nun sind.
Herr Kraut: Genau und dann haben sie mit uns Schnaps getrunken und anschließend die Kühe bezahlt. Wie es sich gehört!
Frau Kraut: Außerdem haben sie ein paar von unseren besten Handwerkern für Renovierungsarbeiten angestellt.
Purzelboom: Also geht von diesem Ort und seinen Bewohnern keine Bedrohung aus?
Herr Kraut: Bisher ist bis auf ein paar komische Lichter und ein paar Geräusche alles ruhig geblieben.
Purzelboom: Vielen Dank für das Gespräch.
Die Herkunft dieser rätselhaften Residenz und die Gründe ihres Erscheinens sind bisher noch völlig ungeklärt. Es wird daher nicht ohne Grund im Volk gemunkelt, dass Fitzzeug im Spiele sei.
Der wagemutige Schreiber Purzelboom wird Euch auch weiterhin über die rätselhaften Geschehnisse hier in Talwacht auf dem Laufenden halten.
Rüdiger Purzelboom für den Kronkurier
In immer mehr ogedischen Städten und Dörfern zeigt sich die Beliebtheit des Götterkindes Arden. Seit einigen Monden gibt es nun auch erste Schreine zu Ehren Ardens. Der wohl prunkvollste Schrein entstand am Rande des Schlangenkamms in Darian, wo eine Theater-Bühne in den Fels geschlagen wurde, um Lieder und Geschichten zu Ehren Ardens vorzutragen.
Nicht allen Geweihten ist diese neue Art des ogedischen Glaubens zwar recht, aber sie betonen auch, dass Arden als Kind der Viere durchaus das Recht habe, einen Platz im Ogedentum zu erhalten.
Die wohlfeile Stadt Solodgia, man spricht ihr gerne den Zusatz „Zwischen-Baum-und-Feld“ zu, gilt als bedeutendste Ansiedlung der tlamanischen Provinz Ardelun. Gemessen an ihren Nachbarinnen Mirain und Tabruk allerdings, geht es hier das Jahr über höchst beschaulich, ja recht betäubend, zu.
Gänzlich anders gestaltete sich diese Gewohnheit jedoch in den ersten Tagen des 2. Xurlmonds, als Solodgia sich in ein fürwahr festlich Prachtgewand kleidete. Mensch, Haus, Strauch und gar Getier waren mit farbigen Glasperlenbändern und bunten Federn geschmückt. Spiel, Spaß und Spectaculum zogen Jung und Alt in Bann. Es wurde vortrefflich von Poenas Gaben getafelt und gebechert, die Ernte fiel in diesem Jahr reichlich aus, und so währten die ausgelassenen Feierlichkeiten – von einem einzelnen Fest kann gar nit mehr die Rede sein – ganze drei Tage und Nächte.
Denn es trug sich zu, dass Prinzessin Lenia Orwyn Sarava mit der Mark belehnt und in den Rang einer Freifrau von Ardelun erhoben worden war.
Wie in Tlamana bewährte Sitte, fällt die Verwaltung der „lieblichen Mark“ Ardelun dem zweitgeborenen Kind des herrschenden Linienstammes zu. Obschon es Absicht ist, auf diese Weise monäre Ausstattung und politische Betätigung zuzuführen, handelt es sich bei diesem Ausgleich mitnichten um die Gründung einer unabhängigen Nebenlinie. Die Belehnung Ardeluns beinhaltet gewissermaßen eine Reserveposition, also die Möglichkeit des Nachrückens, so die eigentliche Thronfolgerin – dieser Tage Erbprinzessin Alessia Velana – aus drängenden Gründen die Baronswürde nicht anzutreten vermag. Bekanntlich kam diese Regelung erst in jüngster Zeit zur Anwendung, als Baronin Tamara von Tlamana zugunsten ihrer jüngeren Schwester, unserer heutigen Baronin Leabell, abdankte.
Als der drachenhainisch-tlamanische Hausvertrag (der Helios-Bote berichtet) am 1.Tag des 1. Helios, 45 n.A.III, durch das Licht Seiner Allerdurchlauchtigsten Majestät Gültigkeit erhielt, war auch die Neubelehnung der Mark erforderlich, welche bislang noch unter der zuverlässigen Verwaltung der inzwischen siebzigjährigen Freiherrin Ambrosiata von Perltautal stand.
Da die Prinzessin zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch erst sieben Sommer zählt, bestallte Baronin Leabell ihren getreuen Ritter Elluard von Eberkling zum neuen Verwalter der Mark, bis Prinzessin Lenia ihr 21. Lebensjahr erreicht hat.
Auch eine Wappenänderung der Mark bringt die Neubelehnung traditionell mit sich. Ihre Hochgeboren Prinzessin Lenia Orwyn Sarava von Tlamana, Freifrau von Ardelun, erwählte sich den aurazithenen Pfau auf schwarzem Grund. Und freilich wart auch der tlamanische Stern nit vergessen, ehrfurchtsvoll schaut der Vogel zum Gestirn empor.
Mark Ardelun
Eine Eigenheit, fern der tlamanischen Gepflogenheiten – dies vergaß ihre Baronin Leabell von Tlamana während der Einsetzung ihrer Tochter nicht zu erwähnen – beinhalte der drachenhainisch-tlamanische Hausvertrag indes doch: sollte es Erbprinz Halmar von Drachenhain nicht gegeben sein, sein Amt anzutreten, so fällt Prinzessin Lenia im Erbfall die Thronfolge des fernen Fürstentumes zu.
Die Vier Götter mögen dies verhüten!
Die beiden Adelshäuser Drachenhain und Tlamana – vor den Vier Göttern durch Lebensehe ihrer Häupter, Fürst Leomar und Baronin Leabell, verbunden – hinterlegten bei Seiner Allerdurchlauchtigsten Majestät jüngst als einvernehmliche Empfehlung, wie nach ihrem Ableben hinsichtlich Thronfolge und Erbe in Drachenhain und Tlamana zu verfahren sei, einen drachenhainisch-tlamanischen Hausvertrag.
Bekanntlich entstammen der poenagefälligen Verbindung drei Thronprätendenten. Namentlich der männliche Erstgeborene Prinz Halmar Arwell, dann die weibliche Erstgeborene Prinzessin Alessia Velana, sowie die weibliche Zweitgeborene Prinzessin Lenia Orwyn Sarava.
Entsprechend des drachenhainisch-tlamanischen Hausvertrages würde beim Tod ihrer Eltern folgende Regelungen, gemäß primo genitur, gewollt sein:
I. Prinz Halmar Arwell soll dereinst Nachfolge und Erbe seines Vaters, Fürst Leomar von Drachenhain, antreten und mit seinen Nachkommen die Linie des Hauses Drachenhain fortführen.
II. Prinzessin Alessia Velana, soll dereinst Nachfolge und Erbe ihrer Mutter, Baronin Leabell von Tlamana, antreten und mit ihren Nachkommen die Linie des Hauses Tlamana fortführen.
III. Sollte eine dieser vorgenannten Linien erlöschen, so geht jene Nachfolge an Prinzessin Lenia Orwyn Sarava über, die mit ihren Nachkommen die entsprechende Linie fortführen soll.
Sollte eine weitere der vorgenannten Linien erlöschen, so verliert dieser Heliosbrief seine heliosgefällige Kraft und fällt an Seine Allerdurchlauchtigste Majestät zurück.
Inzwischen wurde verlautbart, Seine Allerdurchlauchtigste Majestät, König Helos Aximistilius III, geruhte dem drachenhainisch-tlamanische Hausvertrag zu entsprechen und die Helios-Briefe Fürst Leomars von Drachenhain und Baronin Leabells von Tlamana um diese Devolutionsartikel zu erweitern.
Nicht wenig erstaunt war der Glefenbacher Fuhrmann Ingfred, als er – wie mehrmals im Jahr – am 27. des III. Saarka mit seinem Ochsenfuhrwerk eine Ladung Buchweizen über die neue Straße nach Schwarzsee karren wollte.
Natürlich hatte er damit gerechnet, dass es nach den ausgiebigen Regenfällen der letzten Wochen hier und da ein paar Stellen gibt, an denen auf der nur dürftig befestigten Straße die Räder etwas tiefer als sonst einsinken. Darum hatte er auch zwei kräftige Helfer mit Schaufeln dabei, die gemächlich neben dem Fuhrwerk entlangtrotteten und allzu matschige Stellen geschwind ausbessern könnten. Sie waren schon bei Morgengrauen aufgebrochen, auf dass sie bis zur Dämmerung auch sicher an ihrem Ziel ankommen würden.
So ging es zunächst recht zügig dahin. Auf der hervorragend ausgebauten Aximistiliusstraße ohnehin, und zunächst auch von der Abzweigung den dicht bewaldeten Hang hinauf Richtung Schwarzsee. Das ein oder andere Mal kamen die Schaufeln zum Einsatz, doch das war um diese Jahreszeit nichts Ungewöhnliches. Auch einen vom Sturm entwurzelten Baum, der die Straße versperrte, konnten sie mit dem kleinen Fuhrwerk noch umfahren.
Doch kurz bevor sie in einer natürlichen Scharte zwischen zwei Felswänden die Passhöhe des Weges erreichen hätten sollen, stießen sie auf ein Hindernis, das die drei Mann mit ihren zwei Schaufeln unmöglich beseitigen konnten: Es war als hätte der Berg den Weg verschluckt. Denn die Straße führte nun geradewegs hinein in einen mehrere Meter hohen Haufen aus Lehm und Geröll, der den Pass komplett versperrte. Einer der Begleiter kletterte auf den Geröllhaufen, um herauszufinden, wie breit der Erdrutsch denn war und wieviele Leute und Zeit man denn wohl brauche, um den Weg wieder passierbar zu machen. Doch das Hindernis war so groß, dass er es nicht einmal bis ganz nach oben schaffte. Unverrichteter Dinge musste der Fuhrmann also mit seinen Gehilfen umkehren.
Der neue Weg nach Schwarzsee ist damit auf unbestimmte Zeit gesperrt. Bis auf weiteres ist nun wieder der alte Weg durch die Schwarzbachklamm, der bekanntermaßen nur zu Fuß begehbar ist, die einzige Möglichkeit das Hochtal von Schwarzsee zu erreichen.
An eine Räumung des Erdrutsches ist vor dem Frühling nicht zu denken. Doch auch danach ist die Zukunft des Weges offen: Denn spätestens seit der Xurlgeweihte von Schwarzsee in der Kanzlei der Antrutzen vorstellig wurde, um zu fordern, dass die neue Straße aufgegeben werde, mehren sich die Stimmen, alles so zu belassen wie es ist. Denn es sei gegen Xurls Willen gewesen, dass die neue Straße errichtet werde, so habe er sie durch seine göttliche Kraft zerstört und Xurl werde auch weiterhin diese Straße nicht dulden. Diesmal sei es glimpflich ausgegangen, doch sollte man versuchen, die Straße wieder nutzbar zu machen, könnte das schlimme Folgen für die Beteiligten haben.
In der Tat hatten die Geweihten schon vor der Errichtung des neuen Weges davor gewarnt, die Bedeutung des alten Xurl-Schreins am Weg durch die Schwarzbachklamm durch den Bau eines neuen Weges zu verringern, da Xurl dadurch verärgert werden könne. Nach Ansicht der Schwarzseeer ist das nun eingetreten.